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Archiv-Artikel

raritäten vor gericht Ein Banker lässt was springen

„Sie haben zwei Fehler gemacht, Herr G.“, sagt der Vorsitzende Richter zum Angeklagten. Der erste Fehler des ehemaligen Bankangestellten bestand darin, dem Betrüger Oliver T. sein Vertrauen zu schenken und ihm Kredite über insgesamt 1,1 Millionen Euro zu bewilligen. Der zweite Fehler war, nicht rechtzeitig zu seinem ersten Fehler zu stehen. Das Landgericht verurteilte am Donnerstag den ehemaligen Seniorfirmenkundenberater einer Berliner Bank wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Oliver T. hatte bereits vor drei Wochen sein Urteil über eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten erhalten.

Im Frühjahr 2004 kam es zum schicksalhaften Kontakt der beiden Angeklagten, sagt der Staatsanwalt. Da war zum einen der 44-jährige Oliver T., ein schlaksiger Mann mit fusseligen Haaren, der am Abitur scheiterte, dann Einzelhandelskaufmann lernte und sich ein paar Semester als Zuhörer in Jura-Vorlesungen setzte, was er dem Gericht als „nicht abgeschlossenes Studium“ zu verkaufen suchte. Zum anderen der ebenfalls 44-jährige, beleibte Henrik G., dessen Lebensweg mit Abitur, Studium, Hochzeit und Kind auffällig konform verlief.

T. erzählte dem Banker etwas von seinem Polnischen Handelshaus am Spittelmarkt, mit dem er „Unternehmer aus Polen nach Berlin bringen wollte“; er sprach von „Kunst- und Kulturtagen“ am Ku’damm, für die er bereits „Verträge mit international bekannten Künstlern“ abgeschlossen habe und an denen die Stadt großes Interesse hätte. T. kann reden. Auch vor Gericht hält er einen mehrstündigen Monolog über seine großen, nur leider gescheiterten Projekte. Schuldbewusstsein enthalten seine Ausführungen kaum: Als ihn der Richter fragt, ob er gelogen hätte, um an die Kredite zu gelangen, antwortet T.: „Ich könnte nicht bejahen, ich könnte nicht verneinen.“ Man hätte ihn nicht nach Risiken gefragt.

„Er hat die besondere Fähigkeit, Leute für sich einzunehmen“, findet der Staatsanwalt. Auch in dessen Herz schleicht sich der Angeklagte T.: „Ich bin dem Staatsanwalt dankbar, dass er mich in Haft nahm.“ Er habe jetzt nämlich Zeit, um über das nächste Projekt nachzudenken. Das Gericht umschnurrt er mit Sätzen wie: „Das Wichtigste ist die Familie.“ Auch für Henrik G. fand er die passenden Worte: „Endlich mal ein toller Banker, der eine tolle Firma unterstützt.“

Zudem gab es noch den bankinternen Umsatzdruck, sagt G. vor Gericht. Also bewilligte er dem Luftikus T. ab April 2004 Kredite für seine 22 Firmen namens Change Management, Janus Graphix, Rock Style Club, Luna Tempel oder Asian Consulting. Mit Hilfe von neun Strohmännern – Arbeitslosen, die T. zu voll haftbaren Geschäftsführern machte und damit in den Ruin trieb – täuschte der Betrüger die Bank über seine alleinige Geschäftsführerschaft. Das Geld verbriet er für privaten Luxus: Auto mit Chauffeur, Bodyguard, Reisen nach Disneyland.

Bei der Kreditvergabe habe er nicht vorsätzlich gegen das Regelwerk der Bank verstoßen, sagt Ex-Banker G. Doch als er Ende 2004 vom Scheitern des Polnischen Handelshauses hörte, fürchtete er um seinen Arbeitsplatz. Anstatt die Kredite sofort zu kündigen, verhielt sich G. „wie ein Spieler, der verzweifelt hofft, dass das Ganze doch noch gut ausgeht“, so der Richter. Es flossen weitere 370.000 Euro an T., bis die Bank im September 2005 sämtliche Kredite kündigte.

Heute arbeitet Henrik G. als selbständiger Unternehmensberater, eine Berufsbezeichnung, die auch Oliver T. für sich gewählt hatte. UTA FALCK