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Archiv-Artikel

randgruppenkino Mit Borat im Wedding

„Borat“ also. An unserem Kinoabend werden wir testen, was dran ist am viel gepriesenen, viel gescholtenen Brachialhumor von Sacha Baron Cohen. Als „kasachischer Reporter“ auf Amerikareise lässt der Brite allen erdenklichen Randgruppen die haarsträubendsten Beleidigungen angedeihen. Natürlich nicht, weil the artist himself etwas gegen Behinderte, Schwule, Juden oder Zigeuner hätte. Er provoziert, wie wir wissen, im Dienste der Aufklärung. Trotzdem hat sich der deutsche Verleih von „Borat“ eine Klage des Europäischen Zentrums für Antiziganismusforschung eingefangen. Der Trailer – nicht der Film – wird jetzt nur noch zensiert gezeigt. Spaßbremsen!

Ein Zufall verschlägt uns in den Wedding. Das „Alhambra“, ein Multiplexkino an der Seestraße, zeigt „Borat“ zu einer uns genehmen Uhrzeit. Der Saal ist voll mit lärmender Weddinger Jugend, der Film ist ab zwölf Jahren freigegeben. In der zweiten Reihe gibt es noch ein paar freie Plätze.

Bei den ersten Silben zucken wir zusammen: Wir haben die deutsche Fassung erwischt. Sowohl Baron Cohens brutalen Akzent als auch die konsternierten Äußerungen seiner Gesprächspartner hat man mühsam synchronisiert. Das Resultat klingt ein wenig wie die Dialoge jener eingedeutschten Dauerwerbesendungen für Gemüsehobel oder Bauchtrainer. Da müssen wir jetzt durch.

Zum Problem wird etwas ganz anderes. Die Migrantenjungs hinter uns gehen voll mit, wenn „Borat“ Stereotypen entlarvt. Aber – sagen wir es im Jargon der Medienkritik – ihre Rezeption bleibt an der Oberfläche. Dass sie johlen, wenn der Kasache einer prüden Anstandslehrerin Polaroidaufnahmen vom gewaltigen Penis seines Sohnes präsentiert, geht in Ordnung. Aber wie halten sie es mit der Religion?

Baron Cohen, der selbst jüdische Wurzeln hat, hat seinen Filmcharakter als grotesk phobischen Antisemiten angelegt. In „Kasachstan“ ist es angeblich Brauchtum, „den Juden“ durchs Dorf zu treiben – kostümierte Riesenköpfe mit krummen Nasen und Hörnern. Kein Wunder also, dass Borat und sein Begleiter in Panik geraten, als sie begreifen, dass die reizenden alten Leute, in deren Bed-and-Breakfast sie logieren, Juden sind. Die gehetzten Blicke, die die beiden austauschen, die Angst Borats, das Sandwich, das ihm die Frau reicht („sie hat Hörner värstäckt“, flüstert er in die Kamera), könnte vergiftet sein – das alles ist zum Brüllen komisch und denunziert rassistische Vorurteile auf eindeutige Weise. Eindeutig?

Hinter uns ist es ruhiger geworden. Es wird gemurmelt. Jemand sagt voller Verachtung: „Scheißjuden.“ Einige lachen.

„Scheißjuden.“ Das sagt einer öffentlich, einfach so? Müssen wir jetzt nicht die Stimme erheben? Ist das nicht der Augenblick für Zivilcourage? Andererseits riskieren wir ungern Schläge auf den Hinterkopf. Und überhaupt: Gerieten wir nicht in Argumentationsnot? Wir haben auch gelacht. Weil es so abstrus war. Weil Klischees entlarvt werden. Müssten wir das erklären? Zu spät.

Langsam zweifeln wir an der kathartischen Wirkung von Cohens Humor. Die Subkultur, die uns da im Nacken sitzt, kann sich offenbar ohne weiteres mit dem beknackten Antisemiten Borat identifizieren. Zumindest nimmt sie sich die Freiheit, die entsprechenden Passagen so platt zu interpretieren, wie sie daherkommen.

Feige, wie wir sind, überlassen wir die Klärung dieser Fragen den Weddinger Hauptschullehrern. Am Ende unseres Kinobesuchs steht eine niederschmetternde Erkenntnis: Manche Menschen muss man offenbar vor gutem Humor schützen. Und noch was: Wenn Sie sich „Borat“ auch ansehen wollen – gehen Sie um Himmels willen in die untertitelte Fassung! CLAUDIUS PRÖSSER