ralf bsc berlin : Hertha, aber sexyFrosch qua Geburt
Hertha BSC Berlin hat Bayern München geschlagen. Und Hoffenheim sowieso. Erstmals in seiner Geschichte geht der Verein als Tabellenführer in einen Rückrundenspieltag der Fußball-Bundesliga. Ist die Hertha jetzt plötzlich sexy? Und darf man eigentlich noch ganz schnell Fan werden? Fünf Antworten von fünf echten Experten
Derzeit outen sich Leute als Hertha-Fans und glauben, sie könnten die harten Zeiten einfach überspringen. Das gilt nicht! Dank der Gnade des richtigen Geburtsorts bin ich ein Hertha-Frosch der ersten Stunde. Es gibt Belege in der „Sportschau“ mit Ernst Huberty, auf denen zu sehen ist, wie nach dem Spiel gegen den 1. FC Köln im Olympiastadion eine riesige Hertha-Fahne aufs Spielfeld stürmt. Der kleine Junge, der die Fahne schwenkte, war ich.
Dann begannen die Leiden: Zwangsabstieg, Wiederaufstieg, Bestechungsskandal, Abstieg, Aufstieg und so weiter. Und dazu immer der Spott der Andersgläubigen. Selbst in Irland hatte man keine Ruhe vor ihnen: Als Hertha vor ein paar Monaten im Uefa-Pokal bei St. Patricks Athletic antreten musste, war ich natürlich im Stadion und hatte eine Reihe meiner Freunde überredet, mitzukommen. Nach einem grauenhaften Spiel, bei dem Hertha mit Müh und Not ein torloses Unentschieden über die Zeit rettete, fragten mich meine Freunde, ob ich noch bei Trost sei.
Endlich hat sich das Blatt gewendet. Ein Sieg in Wolfsburg, und man kann das ungewohnte Gefühl noch eine Woche genießen. Und dann vielleicht noch eine. Und noch eine. Ich rechne fest mit einer Einladung zur Meisterschaftsfeier, Herr Hoeneß!
RALF SOTSCHECK
rüttieh bsc berlin
Ich Tabellenführer
Ich habe dann doch schnell noch einen Pullover drüber gezogen, bevor ich dem Nachbarn die Tür aufgemacht habe. Das war gestern. Aber jetzt bin ich so weit. Heute darf es jeder sehen, mein neues Hertha-Trikot. Ich bin Tabellenführer. Endlich ist es so weit: Hertha nicht mehr peinlich. Das überrascht mich selbst.
Seit 14 Jahren lebe ich in Berlin. Ich wäre beinahe schon einmal Hertha-Fan geworden. Das war 1999 zu Champions-League-Zeiten. Aber da dachte ich noch, dass man nicht zum Fan eines Klubs werden kann, wenn man es nicht schon immer war. 1999 war Berlin endgültig Regierungssitz geworden. Ich hatte den Eindruck, dass der Hauptstadtklub daraus das Recht ableiten wollte, auf ewig zu den besten Mannschaften der Liga zu gehören. Das fand ich unsportlich.
Jetzt ist alles anders. Dass Suhrkamp nach Berlin zieht, feiert niemand, indem er mit einer Champagnerflasche durchs Brandenburger Tor läuft. Berlin ist normal geworden. Hertha auch. Fehleinkäufe, Schulden, Erfolge, Abstiegskampf. Und normale Klubs haben normale Fans. So einen wie mich. Ob ich auch Hertha-Fan geworden wäre, wenn der Klub irgendwo im Mittelfeld platziert wäre? Mein fast noch ganz neues Hoffenheim-Trikot liegt jedenfalls griffbereit im Schrank.
ANDREAS RÜTTENAUER
detlef bsc berlin
Irgendwie lustig
Im Grunde genommen ist es ja eine Schlagerfrage: Liebst du mich wirklich; also nicht nur, weil ich grade so erfolgreich bin oder so einen tollen Körper habe? Willst du nur deinen Spaß haben und verlässt mich dann gleich wieder? Oder andersrum: Sollen die neuen Fans zu Hause bleiben, weil sie gleich wieder gehen, oder ist es nicht schön, dass sie kommen und morgen egal.
Der Fundamentalist, dessen Ahnen schon auf Hertha gingen, der wenn’s spät wird immer wieder gern davon erzählt, wie er mit dem braven Ete Beer und dem drei Meter großen Uwe Kliemann einmal fast bei Holst am Zoo ein Bier getrunken hätte, der davon träumt, dass die Reste seiner irdischen Substanz einmal als Strafraummarkierungspulver dienen werden, der echte Fan mag vor sich hinschimpfen: Opportunistenpack! Spaßfußballidiotengucker!
Ich bin zwar Schalker mit einer gewissen Affinität für Türkyemspor, steh Sonntags gern am Zaun, wenn der BSC Südring spielt, und werde demnächst auch mal bei Union vorbeischauen, find es aber trotzdem super und irgendwie auch lustig, dass Hertha nun Meister wird. Je mehr Leute zu Hertha gehen, desto besser wird’s bei Hertha sein. Ist halt so. Und ob die neuen Fans nun so furchtbar spaßorientiert sind, ist mir egal. Ich weiß, wovon ich rede; als Blau-Weiss in der Bundesliga war, war ich echter Fan und hatte kein Spiel versäumt. Wir hatten mit selten mehr als 2.000 Leuten im Olympiastadion gestanden, im Grunde genommen fast jedes Spiel verloren und alles war furchtbar.
Noch superer als der Sieg gegen Bayern wär aber, wenn mehr Türken bei Hertha spielen würden, sag ich mal so als Kreuzberger. DETLEF KUHLBRODT
sarah bsc berlin
Mit langem Atem
Ob Hertha als Mannschaft sexy erscheint, ist eine Frage des Alters und der Erfahrung. Denn Hertha BSC Berlin ist etwas für Menschen mit Stil, und den muss man erst einmal entwickeln, lernen, nicht auf den erstbesten Blender hereinzufallen.
Wäre die Bundesliga eine Oberschule, verträte Bayern München die sportlichen, braungebrannten Jungs auf dem Pausenhof, die Lacoste-Pullis lässig über die Schultern geworfen tragen, und die, kaum 18-jährig, einen kleinen Sportwagen fahren. Ihre Väter sind Ärzte, Anwälte und Architekten. Manche tragen weiße Muschelketten um den Hals, als Zeichen für eine gespielte Sensibilität.
Bayern sind die, die jedes Mädchen- oder Jungen- rumkriegen, weil sie so hübsch anzusehen sind, und die sie genauso schnell wieder abservieren, da es ihnen nur um die Trophäen und nie um Liebe geht.
Hertha BSC Berlin dagegen vertritt die anderen Jungs, die nicht so sportlichen, dafür musisch begabten. Die auch mal lesen. Und U-Bahn fahren. Die komische Frisuren ausprobieren und den Physik-Unterricht schwänzen. Die eben nicht die lautesten sind, dafür aber, wenn man sie erst einmal entdeckt hat, Qualitäten zeigen, die Bayernspieler nie haben werden. Mit Hertha kann man sich zum Beispiel so schön streiten. Und wieder vertragen. Oder den Weltschmerz pflegen.
Man muss sie mögen, diese Jungs, die es meistens nicht ganz nach vorne schaffen und die, wenn sie mal Klassenerster sind, es mit ziemlicher Sicherheit nicht bleiben werden. Aus Prinzip.
Hertha ist also viel mehr etwas für Menschen mit langem Atem, dafür aber hat man auch etwas fürs Leben.
Natürlich kann nicht jeder jetzt einfach Fan werden, vor allem nicht die, immer nur auf den Status schielen, die letztes Jahr noch Werder oder den HSV toll fanden. Die haben uns zu oft verhöhnt und ausgelacht, und darum gehört der Genuss, jetzt mal vorne zu stehen, auch uns alleine.
Ätschbätsch!
SARAH SCHMIDT
michael bsc berlin
Froschfressersex im Untergrund
Im Jahr 1982 kam ich nach Westberlin. Ich war schon Jahre davor zum Fußballfan geworden, aber als Widerspruchsgeist konnte ich noch nie einem einzigen Verein allein anhängen. Nur der Fußball selbst, die reine Lehre sozusagen, faszinierte mich. Deshalb fuhr ich recht bald, um wieder ein Bundesligaspiel zu sehen, ins Olympiastadion, wo Hertha BSC zu Hause ist. Was ich bei diesen Fahrten in der engen U 1 erlebte, reicht für zwei Leben. Wenn Schalke 04 die dümmsten Fans der Welt hat, dann hat Hertha eindeutig die hässlichsten. Aus welch düsteren Löchern diese elenden Gestalten wohl gekrochen sind, fragte ich mich jedes Mal. Und dann nannten sie sich irrerweise auch noch Frösche. Herthas Kuttenträger waren ungefähr so sexy wie Froschlaich. Wer so aussieht, der isst auch lebende Tiere.
Heutzutage ist Fußball ein schicker Kick. Nur bei Hertha verkörpern Trainer und Spieler das absolute Mittelmaß, aber mit dem typischen Berliner Schuss Größenwahn. Oder, um mich einmal selbst zu zitieren: „Hertha BSC Berlin ist eine Art Bielefeld mit einer Überdosis Bagdad.“ Und daran wird sich nie etwas ändern. Selbst wenn Hertha an der Spitze steht oder sogar Meister wird. Was dann erst für Hertha-Fans ans Tageslicht kommen, das will man besser gar nicht wissen. MICHAEL RINGEL