: "Liebe taz..." Lehrberuf: Politiker - betr.: Kommentar: "VEB-Stadthalle", taz vom 23.4.1997
Betr.: Kommentar: „VEB--Stadthalle, taz, 23.4.
Beste Kerstin Schneider,
du hast das VEB-Musical und den VEB-Spacepark vergessen!
Aber wen interessiert das noch? Henning Scherf, den großen Albatros der SPD, sicher nicht. Der zieht hoch über den Decks der Bremer Illusitania seine staatsmännischen Kreise. Auf der Brücke zählt Captain Nölle immer wieder seine letzten Pfennige und spinnt sein ökonomisches Seemannsgarn, während Staatsräte, Fraktionsvorsitzende und andere Leichtmatrosen unter Deck mit ungedeckten WAP-Millionen zocken. Kein Wunder, daß alle Passagiere sehnsüchtig auf ein klärendes Ereignis warten, beispielsweise auf einen Schuß vor den Bug vom Bundesverfassungsgericht. Das würde alle Pumpritter endlich mal an Deck holen.
Liegen Klippen voraus, treibt's die eine Partei nach backbord, die andere fordert steuerbord - der Kompromiß liegt gewöhnlich in der Mitte dund reißt dann ein großes Loch. Alle finanziellen Lenzpumpen haben längst den Geist aufgeben. Trotzdem muß das lecke Schiff jeden Ballast schleppen: Risikoabsicherung für die Beschäftigten der BEB - klar doch, kein Problem! Pensionslasten der BLG - auch die trägt selbstverständlich der Bremer Bürger, dieses gute alte Grautier! Taucht ausnahmsweise am Horizont mal ein ganzseidener Investor auf, der verspricht, Arbeitsplätze zu schaffen, dann wird mit vereinten Kräften solange am Ruder gerissen, bis kein Land, kein Investor und kein Arbeitsplatz mehr in Sicht ist. Schließlich ist ein graues Zementwerk nicht so poetisch wie ein glitzernder Spacepark, der irgendwo jenseits von jedem Horizont liegen soll. Das geneigte Publikum fragt sich: Las Bremens Politikerkaste einst zuviel Perry Rhodan? War's die jugendliche Rhythmik James Lasts im Falle unserer spätgeborenen Musical-Strategien? Und wer sind eigentlich die unbekannteren Mitglieder der Köllmann-Gruppe?
Angesichts der Zustände auf unserem lecken Seelenverkäufer weiß ich nur eins: Der jetzige Senat ist der vorletzte Bremer Senat. Der nächste wird in Brüssel Schließungsbeihilfe beantragen. Damit darf er den Dampfer halbwegs sanft auf Grund setzen. Übrigens wären Grüne und AfB mit dem Klammerbeutel gepudert, würden sie nach der Wahl bei diesen Fahrensleuten anheuern, nur um den letzten SOS-Ruf abzusetzen. SPD und CDU sind nämlich imstande, zu behaupten, nicht sie hätten aus seefesten Bremern hannoversche Süßwassermatrosen gemacht.
Klaus Jarchow
P.S. Wann endlich wird Politik ein Lehrberuf!
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