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"Liebe taz..." Großes Unglück - betr.: "150 PsychologInnen vor dem Aus", taz vom 27.1.1997

Betr.: “150 PsychologInnen vor dem Aus“ , taz vom 27.1.97

Danke für Euren gut recherchierten Artikel über die Kurzsichtigkeit der Krankenversicherungen. Dem sei eine weitere hinzugefügt, die die Auswahl der therapeutischen Verfahren betrifft, mit denen die Vertragsbehandler arbeiten. Als „wissenschaftlich fundierte Verfahren“ sind von den Krankenversicherungen nämlich nur Psychoanalyse und Verhaltenstherapie anerkannt; über ein größeres Methodeninventar verfügen die überwiegend männlichen Vertragsbehandler daher nicht! Für bestimmte Störungsbilder ist dies aber zu kurz gegriffen. So hat beispielsweise eine Frau, die in ihrer Kindheit sexuell von Familienangehörigen mißbraucht wurde, bei Kostenübernahme durch die Kasse nur noch die Wahl sich entweder von einem Psychoanalytiker behandeln zu lassen, der in der Regel davon ausgehen wird, daß es sich bei ihren Erinnerungen um nicht erfüllte Wunschphantasien des kleinen Mädchen handelt, was eher dazu angetan ist, die Störung zu verschlimmern. Oder sie geht zum Verhaltenstherapeuten, der versuchen wird, ihr im Rahmen einer Kurztherapie zu helfen, ihre Symptome wie Ängste, Unsicherheit etc. zu verlernen, ohne die eigentlichen Ursachen aufzudecken. Diese Frauen, aber auch viele andere Klientengruppen mit komplexen psychosomatischen Problemen, brauchen dringend eine Langzeitbehandlung mit Methoden, über die vor allem die nun ausgeschlossenen, wesentlich umfassender ausgebildeten PsychologInnen verfügen: humanistische Methoden, die geeignet sind, das Trauma mit Hilfe von sanfter, respektvoller Körperarbeit aufzudecken und durchzuarbeiten, so daß eine wirkliche Heilung stattfinden kann. Daß diese Arbeit nun nicht mehr von den Kassen mitgetragen wird, ist für eine beträchtliche Klientengruppe ein großes Unglück, da nur wenige über die Mittel verfügen, eine Behandlung mit der Therapiemethode ihrer Wahl selbst zu finanzieren.

Marianne Sörensen

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