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"Ich möchte mich in dieser Stadt frei bewegen..."-betr.: "Lug und Trug mit dem 'Grünen Pfeil'", taz vom 11.11.92

betr.: „Lug und Trug mit dem ,Grünen Pfeil‘“, taz vom 11.11.92

Sehr geehrter Herr Haase, [...] ich bin blind und gehöre also zu dem Personenkreis derjenigen, die von der Verkehrsregelung „Grüner Pfeil“ besonders betroffen sind. [...] Blinde und Sehbehinderte wie ich, die sich an den parallel anfahrenden Autos orientieren, um die eigene Grünphase wahrzunehmen, können nicht unterscheiden, ob es sich um „Pfeil-AbbiegerInnen“ oder um ordentliche „Grün- AbbbiegerInnen“ handelt. Wir laufen daher Gefahr, uns verkehrswidrig zu verhalten und bei „Rot“ auf die Fahrbahn zu treten.

Im Kopf das Motto „Behindertenfreundliches Berlin“, hat der Senat betreffs des grünen Blechpfeils bereits einen Beschluß gefaßt, der blinde und sehbehinderte VerkehrsteilnehmerInnen berücksichtigt hat. Bedauerlicherweise jedoch ist genau das Gegenteil von dem beschlossen worden, was Sinn machen würde.

Laut Senatsbeschluß ist der Grüne Pfeil nun überall da nicht anzubringen, wo eine Ampelanlage blindengerecht gestaltet worden ist. Also dort, wo ich aufgrund akustischer und/oder taktiler Hinweise meine Grünphase unmißverständlich und selbständig erkennen kann, darf kein Blechpfeil angebracht werden, weil es sich hierbei um eine von Blinden und Sehbehinderten stark frequentierte Kreuzung handelt.

Umkehrschluß Nr.1: An nicht blindengerecht gestalteten Ampelanlagen können die Blechpfeile getrost angebracht werden. Umkehrschluß Nr.2: Blinde und Sehbehinderte werden sich zukünftig auf die Nutzung der Kreuzungen beschränken müssen, die ihnen eine eindeutige und selbständige Vermittlung der Grünphase gewähren. Vermutlich kann ich mich dann bald über keine Kreuzung mehr alleine wagen, auch nicht über die mir durchaus vertrauten. Weiß ich doch nicht, welche Kreuzungen Sie, Herr Haase, gedenken mit einem Blechpfeil auszustatten. Oder raten Sie mir, 130 Kreuzungsbereiche auswendig zu lernen – in Verbindung mit dem Vaterunser, was zur Überquerung einer Blechpfeil-Kreuzung angemessen erscheint? Oder würden Sie mir gar empfehlen, nur noch zu Tageszeiten unterwegs zu sein, zu denen ausreichend Passanten greifbar sind, die mir dann beim Überqueren der Straße behilflich sein können? [...]

Ich möchte mich in dieser Stadt frei bewegen. Blindengerechte Ampelanlagen würden mir dies erleichtern. Der Ausbau Berlins zu einer autogerechten Stadt, wie Sie es vorantreiben, steht im krassen Widerspruch dazu. Anke Overbeck,

Berlin-Schöneberg

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