: "Die Linken sind nicht hilflos-betr.: "Die Hilflosigkeit der Linken" /Kritische Bücher zur Euthanasie-Debatte) von Johann S. Ach und Andreas Gaidt, taz vom 3.3.92
betr.: „Die Hilflosigkeit der Linken“ (Kritische Bücher zur Euthanasie-Debatte) von Johann S. Ach und Andreas Gaidt, taz vom 3.3.92
1.Ach und Gaidt kritisieren Klees Beitrag wegen mangelnder philosophischer Argumentation sowie fehlender begrifflicher Trennschärfe, Tolmeins Buch wegen fehlender Auseinandersetzung mit Singers Personalitätskriterium und der Nichtbeachtung des Unterschieds zwischen freiwilliger und nicht freiwilliger „Euthanasie“, die Textsammlung von Bruns ebenfalls wegen „Begriffskonfusion“ (...) Äußerlich haben die Autoren Recht. Doch ging es weder Klee noch Tolmein um den Entwurf eines fachphilosophischen Beitrags; besonders Tolmein will nicht „in die Debatte einsteigen“ und dem differenzierten Begriffsinstrumentarium der Präferenz-Utilitaristen durch konkrete Diskussion eine Legitimation verschaffen, die es seiner Meinung nach nicht hat. Ach und Gaidt verkennen, daß die „Euthanasie“-Diskussion längst keine philosophische mehr ist, die sich mit den theoretiscshen Implikationen des ursprünglich angelsächsischen Utilitarismus beschäftigt, sondern eine berechtigtermaßen politische, da sie die Gesellschaft als ganze betrifft.
Daß Singer — den ich hier stellvertretend nenne — noch nicht ausreichend „fachphilosophisch widerlegt worden ist, ist wahr und beschämend; dies tun ist aber nicht das Ziel politischer Beiträge und soll es auch nicht sein, denn sie gehen weit über die „fachphilosophische Kritik am Utilitarismus Singerscher Prägung“ hinaus.
Warum heißt der Artikel dann „Die Hilflosigkeit der Linken“? Die Linken sind nicht hilflos. Ach und Gaidt meinen in Wahrheit doch die linken PhilosophInnen (möge es sie geben).
2.Im letzten Teil sprechen die Autoren von „dem Problem, zwischen dem moralischen Status von Embryo-Föten und dem von Neugeborenen zu unterscheiden“. Dieses Problem sehe ich nicht; es ist aus einem philosophischen Begriffsjargon geboren, das alles verobjektivieren will. Frau und Embryo bilden (vorerst noch) eine Einheit; niemand darf eine Frau zwingen, ihren Körper zum Gefäß zu degradieren und ein Kind zu bekommen, wenn sie das nicht will. Die meisten Abtreibungen geschehen, weil die betroffene Frau kein Kind zu diesem Zeitpunkt austragen wollen, egal, wie es beschaffenwäre. Daher kann man sehr wohl bestimmte Fälle von „Euthanasie“ kritisieren, ohne Abtreibung abzulehnen. Anders verhält es sich bei Abtreibung nach eugenischer Indikation; eine sehr sensible Frage, die nie kategorisch beantwortet werden kann. Tatjana Tarkian, Göttingen
Es ist wohl weniger die Hilflosigkeit der Linken als der Unverstand der Jünger Singers, der hier zur Debatte steht. Mit dem Beethoven-Beispiel richtet Ernst Klee nicht über den Nutzen oder Nichtnutzen des Herrn Beethoven. Klee überläßt das Urteil vielmehr seinen LeserInnen. Andererseits kommen die beiden Autoren, die offenbar der utilitaristischen Grundhaltung Singers folgen, gar nicht erst aus dem Nützlichkeitsdenken heraus. Sie teilen die Menschen in Nützlinge und Nichtsnutze, als handelte es sich um Kartoffeln unbterschiedlicher Qualitäten — ausnahmweise ein Vergleich, der nicht hinkt, denn der Präferenzutilitarismus ist eben jene Wertlehre, mit der die bedingungslose Marktwirtschaft gerechtfertigt wird, und zwar ungeachtet aller logischen Widersprüche und Paradoxa, die jeder Ökonomiestudent im ersten Semester lernt.
Der grundlegende Unterschied der Positionen Peter Singers und seiner KritikerInnen liegt darin: Singer definiert Lebenswert und Lebensunwert, mag er das auch mit anderen Begriffen tun, wie zum Beispiel „Person“. Seine Kritikerinnen fällen ein solches Werturteil eben nicht und gehen davon aus, daß sich Lebenswert weder in komparativen noch in absoluten Einheiten messen läßt. In dem Moment, in dem sich jemand anmaßt, einen Menschen oder eine Person abstrakt und für alle Tage definieren zu wollen, macht er sich zum Richter und Vollstrecker. Die festgelegten Grenzen lassen sich dann nach Belieben der herrschenden Personen verschieben. Genau das ist mit den ursprünglich so wissenschaftlich exakten Definitionen des preußischen „Erbgesundheitsgesetzes“ unter der NS-Herrschaft geschehen, schließlich waren es nicht böse Nazis, die sich das Gesetz ausgedacht hatten, sondern die Erbbiologen.
Ich selbst bin zeitweise mit der Lebensunlust eines an Chorea Huntington erkrankten Freundes konfrontiert. Die sozialen — nicht nur die finanziellen — Bedingungen sind ihm manchmal unerträglich. Würde ich in solchen Momenten seine Entscheidung, lieber sterben zu wollen, einfach so hinnehmen, dann würden wir jetzt nicht eine Ausstelung mit seinen Bildern planen. Es ist mir wurscht, welchen Wert oder Unwert seinem Leben oder seiner Kunst von anderen beigemessen wird. Wichtig ist mir: Nur die grundsätzlich positive Einstellung für das Leben versetzt mich in die Lage, ihn zu neuen Missetaten zu motivieren. Was er in solchen Situationen braucht ist weder Gift noch Atrott, sondern Menschen, die auch sein Leben bejahen, ohne es zu werten, so beschissen man sich auch fühlt, wenn der Mensch, der einem gegenübersitzt, manchmal nicht einmal mehr Schluck- oder Schließmuskel kontrollieren kann.
Aus dem rechtlich politischen Dilemma kann uns nur die Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen über seinen Körper helfen. Das Recht auf Leben hat in unserer Verfassung — auch wenn mir jetzt JuristInnen mit der ihnen eigenen Rabulistik widersprechen werden — einen untergeordneten Rang. Stünde das Recht auf Leben an erster Stelle und nicht ein Wischi- Waschi-Begriff wie „Menschenwürde“ brauchten wir die Todesstrafe nicht gesondert zu verbieten. Auch der gezielte Todesschuß seitens unserer lieben Bullerei dürfte dann nicht einmal erwogen werden. Ein solches uneingeschränktes Lebensrecht kann auf der anderen Seite keine Pflicht zu leben bedeuten. Die Beteiligung an einem Krieg wäre schlicht verfassungswidrig. Dies alles wird von unseren praktischen Ethikern und ihren angelsächsischen Vorbildern aber nicht in die Debatte gebracht, sondern eine Kampagne für Euthanasie, gesteuert von der New Yorker Hastings Society, die von der Wissenschaftsredaktion der so liberal diskursenden 'Zeit‘ aktiv unterstützt wird. Christian Sternberg, Bonn
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