Zeichen der Ohnmacht

Das Kopftuch ist das einzige religiöse Symbol mit sexuellem Hintergrund. Es zeigt die Unterworfenheit der Frau unter den männlichen Blick. Es gehört daher nicht in die Schule

Indem sich der Kontext der Geschlechterverhältnisse religiös begründet, ist er nicht debattierbar

In den Debatten um das islamische Kopftuch ist zwar oft davon die Rede, dass es den Blick des Mannes auf das Haar der Frau verhindern soll. Dennoch wird immer wieder übersehen, dass das Kopftuch eine sexuelle Bedeutung hat. Das Kopftuch ist das einzige religiöse Symbol mit sexuellem Hintergrund, die einzige „religiöse Pflicht“ mit sexuellem Hintergrund.

Dagegen haben weder die Kippa noch die Kopfbedeckung der Nonne oder der Diakonisse einen sexuellen Hintergrund. Weder für den Juden noch für den Christen gibt es den „Schambereich Kopfhaar“. Sie bedecken ihr Haar, um ihre Beziehung zu Gott zum Ausdruck zu bringen.

Bei dem muslimischen Kopftuch aber geht es um Sexualität. Die Frau bringt zum Ausdruck: Meine Sexualität ist nicht öffentlich – und macht damit gegenüber jedem einzelnen Mann öffentlich: Ich bin nicht zuständig für deine Sexualität. Diese symbolische Erklärung sagt Fundamentales aus über die Beziehung von Frauen und Männern, die Zuordnung der Frau, das Verständnis von Sexualität. Kurz gesagt: Sie ist dem Blick des Mannes unterworfen und benötigt deshalb das Kopftuch als ständigen Schutz.

Noch im symbolischen Nein der Frau wird Sexualität für alle sichtbar verhandelt, wird sie ständig thematisiert. Ohne eigenes Zutun der Frau wird durch den Blick jedes Mannes auf jede Frau jederzeit sexuelle Öffentlichkeit hergestellt, womit die Bedeckung der Frau als symbolisches Nein überhaupt erst „nötig“ wird, gegenüber jedem einzelnen Mann, zur Wahrung ihrer Tugend.

Gewöhnlich haben zumindest hierzulande Frauen keine solch vorwegnehmende symbolische Erklärung nötig. Sie sprechen, natürlich, für sich selbst, und es ist selbstverständlich für sie, dass sie sich selbst gehören. Der Blick des Mannes hat aus sich selbst keine Rechte an der Frau. Das Begehren hat keine Rechte, außer die Frau erwidert es aus freiem Willen. Alles andere ist sexueller Übergriff, sexuelle Gewalt.

Das Kopftuch hat seine Bedeutung nur innerhalb der Geschlechterverhältnisse. Wäre weit und breit kein Mann, könnte die Frau ohne Kopftuch überall hingehen, sei es in den Garten oder aufs Feld. Ist ein Mann nur in der Nähe zu vermuten, heißt es, Haare bedecken, sonst könnte sie signalisieren: Ich bin sexuell für dich zuständig, in bin verfügbar. Natürlich widert dieses Projektionsbild eindringlicher, männlicher Potenz viele Frauen an. Über der Person Frau, über der Person Mann steht als Über-Gesetz, wann, wo und bei welcher Gelegenheit auch immer: die Sexualität.

Deshalb soll also die Lehrerin das Kopftuch tragen, wenn der Direktor den Klassenraum betritt, und sei es nur für eine Minute. Schon in diesem Moment ist die sexuelle Bedeutung „total“.

Religion und Sexualität haben beim Kopftuch eine innere Nähere zueinander, wirken wie zwei Seiten ein und derselben Sache: Die Religion wirkt in die Sexualität hinein, die Sexualität in die Religion. Indem sich der Kontext der Geschlechterverhältnisse religiös begründet, kann er nicht zur Rechenschaft gezogen werden, ist er nicht debattierbar, denn was religiös ist, kann nicht debattiert werden, sondern gehört in den Bereich des Glaubens. Zumindest lässt sich darauf berufen.

Über der Person Frau, über der Person Mann steht als Über-Gesetz immer und überall: die Sexualität

Die Frau kann alles machen, kann Rechtsanwältin sein, Bürokauffrau oder Apothekerin. Sie muss nur das Kopftuch tragen. Damit erklärt sie sich als eingebettet in dieses religiös begründete Geschlechterverhältnis.

Keine freiwillige Unterwerfung ohne Bonus. Den hat auch die Kopftuchträgerin. Er besteht in den Motiven der Selbsterhaltung, ebenso in der Partizipation an der Macht, der man sich unterwirft, und der damit gewonnenen Selbsterhöhung.

Dass dies weitreichende Auswirkungen hat nicht allein in der Beziehung der Geschlechter zueinander, sondern zugleich auch bestimmend ist für die Identitätsentwicklung von Männern und Frauen, ist nicht davon zu trennen. Das Kopftuch ist ebenso identitätsstiftend wie kulturstiftend. Sprecher des Islam wissen das sehr genau. Aber gerade weil dies so ist, kann die Frage nicht allein unter der Rubrik Religion oder Religionsfreiheit behandelt werden, sondern gehört zumindest ebenso in eine Kulturdebatte.

Die Debatte über das Kopftuch ist wahrlich keine Nebensache. Denn: Islam ohne Kopftuch ist möglich, Islamismus ohne Kopftuch mit Sicherheit nicht. Nicht grundlos wüten Islamisten, wenn Frauen sich der ihnen auferlegten Bedeckung entledigen wollen. Mit welcher Gewaltsamkeit diese erzwungen wurde, ist hinreichend bekannt. Es geht um Macht. Es geht um die in das Subjekt hineinwirkende, in das Subjekt hineinverlegte Macht über den Schambereich der „erweiterten Intimität“. Dazu avanciert hier das Haupthaar der Frau. Es wird zum Ort sexueller Verfügungen, und damit zum Ort von Schuld und Scham, jener sehr persönlichen Empfindungen und ihrer wahrhaften Intimität. Womit die über die Frauen bestimmende Macht in ihrem Innern wirkt.

Das Kopftuch ist keineswegs nur ein Bescheidenheit und Demut signalisierendes Maria-Magdalenen-Tuch. In all seinen offenkundigen wie verdeckten Bedeutungen ist es auch immer ein Zeichen von Macht und Durchsetzung, gerade weil es mit Unterwerfung und Selbstunterwerfung zu tun hat. Das weiß jeder, der etwa in Berlin-Neukölln oder Hamburg-Altona lebt.

Mittlerweile scheint ja so einiges in den Köpfen durcheinander geraten zu sein: In Klassenzimmern müssen Kreuze abgehängt werden, weil Eltern dagegen klagen. Zugleich demonstrieren Politikerinnen für das Kopftuch im Schuldienst, ja sie setzen sich aus Protest gar selbst eines auf. Eine Kopftuchträgerin will als Beamtin im Schuldienst nicht auf ihr Tuch verzichten, da sonst ihre weibliche Identität litte. Deshalb klagt sie sich durch alle Instanzen hindurch.

Sie ist dem Blick des Mannes unterworfen und benötigt deshalb das Kopftuch als ständigen Schutz

Wir sind mit unseren eigenen Religionen hart ins Gericht gegangen. Dazu hatten wir einen guten Grund: Sie haben dem Mordregime des letzten Jahrhunderts zu wenig Widerstand entgegengesetzt. Bei allem Respekt, auch der hier so dringlich einwandernde Islam kann vor dem Hintergrund dieser Erfahrung nicht erwarten, Sonderrechte für sich in Anspruch zu nehmen.

Aus der deutschen Geschichte lernen heißt, Systeme der Unterwerfung und Selbstunterwerfung erkennen. Dies ist besonders wichtig angesichts des deutschen Größenwahns im letzten Jahrhundert. Hier kann nichts willfährig abgehandelt werden. Die Unterworfenheit der Frau unter den männlichen Blick ist durch das Kopftuch total. Daher gehört es nicht in die Schule.

Natürlich werden wir uns, auf der Basis unseres Zusammenlebens mit den Muslimen, ein eigenes Bild des heutigen Islam machen. Das werden sich die Muslime gefallen lassen müssen – wie die Anhänger anderer Religionen in unserem Land auch. Wenn es um Vertrauen geht, dann nicht um blindes, sondern um sehendes. Die Muslime, die den Islam zu einer diesem Land eigenen Religion machen möchten, sollten sich dem stellen. Wie sie das tun, zeigt, was sie wollen, wer sie sind. GERDLIN FRIEDRICH