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Archiv-Artikel

Die Macht der Intoleranz

Die Rücksichtnahme des Westens auf Extremisten aller Seiten birgt Gefahren

aus Sarajevo ERICH RATHFELDER

Die Schüsse fielen an Heiligabend. Im Kerzenschein des Weihnachtsbaumes saß Familie Andjelić friedlich zusammen in ihrem Haus in dem von katholischen Kroaten bewohnten Dorf Kostajnić bei Konjić. Vater Andjelko, seine Töchter Marica und Zorka sanken tödlich getroffen zusammen, nur der Sohn Marinko überlebte schwer verletzt.

Das Verbrechen erregte Aufsehen in ganz Bosnien-Herzegowina. Umso mehr, als inzwischen die näheren Umstände bekannt geworden sind. Schon kurz nach der Tat konnte der Mörder in dem drei Kilometer entfernten Dorf Otelezani gefasst werden. Es handelt sich um den 25-jährigen Muamer Topalović. Und weil der ein bosnischer Muslim ist, wurde der Mord am christlichen Feiertag sofort zum Politikum.

Die Polizei aus Mostar fand kurz darauf heraus, dass Topalović Kontakte zur radikalmuslimischen Jugendorganisation „Junge Muslime“ und der saudi-arabischen Hilfsorganisation „Jeniet al-Forkan“ unterhalten hatte. Der Innenminister des Neretva-Kantons, Goran Bilić, erklärte sogleich, dass diese Organisation hinter dem Mord stünde. Islamische Fundamentalisten hätten aus religiösen Motiven die Familie überfallen.

Noch ist nicht bewiesen, dass saudi-arabische Organisationen den Mörder angestiftet haben. Aber die Tat wirft ein Schlaglicht auf die Aktivitäten radikaler islamischer Organisationen in Bosnien und Herzegowina. Schon seit einigen Jahren verdichten sich die Hinweise, dass arabische Organisationen fundamentalistisches Gedankengut unter den bosnischen Muslimen verbreiten. So haben saudi-arabische Organisationen seit dem Ende des Bosnienkrieges (1995) dort mehr als 100 neue Moscheen und Gemeindehäuser gebaut, die bis heute unter ihrer Kontrolle geblieben sind – sehr zum Verdruss des größten Teils der traditionellen islamischen Gemeinschaft Bosniens.

An warnenden Stimmen hat es nicht gefehlt. Mit den saudi-arabischen Geldern würden vor allem junge Leute in den Bann des Fundamentalismus gezogen, erklärten Vertreter der bosnischen Muslime in den letzten Jahren immer wieder. Der von den Saudis propagierte Wahabismus sei eine Gefahr, warnte zum Beispiel der Vorsitzende der Akademie der Wissenschaften, Muhamed Filipović. Der Wahabismus untergrabe mit seiner Intoleranz das friedliche Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen. Bosnien könne nur existieren, wenn eine tolerante Atmosphäre zwischen der muslimischen Mehrheitsbevölkerung, den katholischen Kroaten und den orthodoxen Serben herrsche, so Filipović. Die Fundamentalisten hingegen strebten die Gründung „ethnisch reiner Gebiete“ an und wollten Nichtmuslime aus „ihren“ Gebieten vertreiben.

Die Region um Konjić ist mehrheitlich von Muslimen bewohnt, es gibt aber auch kroatische Dörfer. Einige kroatische Familien, die während des Krieges geflohen waren, sind wie die ermordeten Andjelić’ in ihr Haus zurückgekehrt. Der Mord dürfte andere rückkehrwillige Kroaten vorerst davon abhalten, dies zu tun. Genau das wollen die muslimischen Extremisten erreichen. Ganz ähnlich gehen im Übrigen kroatische und serbische Extremisten in „ihren“ Mehrheitsgebieten vor.

Angesichts dieser Aktivitäten sind die internationalen Institutionen vor Ort seltsam inaktiv geblieben. Wenn auch die internationale Friedenstruppe SFOR und die internationale Verwaltung Bosniens (OHR) seit dem 11. September 2001 gegenüber den Gefahren des Fundamentalismus sensibler geworden sind. Seit den Terroranschlägen in den USA hat die US-Botschaft in Sarajevo ihre Geheimdienste auf die Fundamentalisten angesetzt. Seit Herbst 2001 haben SFOR-Truppen und UN-Polizisten die Büros mehrerer saudi-arabischer Hilfsorganisationen durchsucht und auch einige mutmaßliche Extremisten festgenommen.

In Mostar kam es im Frühjahr 2002 sogar zu einem spektakulären Waffenfund: 26 Tonnen Artilleriemunition und Waffen aller Art konnten sichergestellt werden. Der SFOR gelang es in diesem Herbst, weitere illegale Waffenlager in Bihac und anderen Orten auszuheben. Sogar in unmittelbarer Nachbarschaft des US-Militärlagers von Tuzla waren Panzerfäuste vergraben, die für einen Anschlag hätten genutzt werden können. Auf Druck der USA hin wechselten die Saudis im Juni 2002 einige führende Persönlichkeiten der Hilfsorganisationen aus. Doch nach wie vor sind sie im Nahen Osten enge Verbündete der Amerikaner. Washington will Saudi-Arabien angesichts möglicher Militäraktionen gegen Irak offenbar nicht völlig verärgern.

Das fundamentalistische Netzwerk in Bosnien ist nach Einschätzung hoher westlicher Geheimdienstoffiziere aber weiterhin intakt. Auch auf serbischer Seite habe sich mit der „Tschetnikbewegung“ eine Gruppe gebildet, die wie die muslimischen Fundamentalisten auf eine Destabilisierung des Landes abzielt. Einige interne Kritiker werfen den internationalen Institutionen deshalb vor, trotz der offensichtlichen Gefahr aus politischen Gründen zu wenig gegen die Extremisten aller Provenienz zu unternehmen. „Es reicht nicht aus, nur für die Sicherheit der eigenen Truppen und Botschaften zu sorgen“, erklärte erst kürzlich ein westlicher Geheimdienstmann in Sarajevo.

Ausgerechnet der Mann, der den Hinweisen auf die Waffenlager nachgegangen war, wurde Ende Oktober seines Postens enthoben: Munir Alibabić. Der ist darüber nicht nur enttäuscht, er ist wütend. Denn der seit dem Sommer 2000 amtierende Chef des bosnischen Geheimdienstes AID wurde auf Betreiben des Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina, Paddy Ashdown, aus seinem Amt entfernt – trotz der Anerkennung, die ihm wegen seiner Arbeit zuteil geworden war. Alibabić hatte nämlich mit seinen Informationen entscheidend dazu beigetragen, die Verstrickungen führender Persönlichkeiten der muslimischen Nationalpartei (SDA) in Korruption und Urkundenfälschung aufzudecken.

Damals, während des Krieges, flossen Milliarden von US-Dollar an Spenden- und Hilfsgeldern an die vom Genozid bedrohten bosnischen Muslime. Ein Teil des Geldes jedoch, so Alibabić, verschwand in den Taschen führender Funktionäre der muslimischen Nationalpartei SDA unter Alija Izetbegović. Und nicht nur das. Die damals regierende Partei war eng mit den arabischen Unterstützern verquickt, Innenminister Bakir Alispahić soll noch nach dem Krieg über 700 bosnische Pässe an Araber vergeben haben.

Der Einfluss saudi-arabischer Gruppen auf Bosniens Muslime wächst

Alibabić hat zur Aufklärung dieser Vorgänge einiges beigetragen. Der der Korruption verdächtige frühere Innenminister kam vor Gericht. Vor allem die Chefanklägerin am Jugoslawientribunal in Den Haag, Carla del Ponte, zollte Alibabić Repekt. Munir Alibabić habe sich „sehr kooperativ“ gezeigt, erklärte Del Ponte kurz vor dessen Entlassung.

Aber Ashdown ignorierte ihre Position, wie auch die Stimmen des französischen Botschafters und des SFOR-Kommandanten, die sich wie Del Ponte gegen die Ablösung Alibabić’ ausgesprochen hatten. Wahrscheinlich wollte Ashdown mit seinem Vorgehen den Nationalparteien entgegenkommen, die Anfang Oktober die Wahlen in Bosnien-Herzegowina gewonnen hatten. Ohne Zusammenarbeit mit den Wahlsiegern könne auch der Hohe Repräsentant nicht Politik machen, ließ er durchblicken. Und definierte die nationalen Parteien der Muslime, Kroaten und Serben nach den Wahlen kurzerhand zu „Reformparteien“ um. Ashdown erklärte, die notwendigen demokratischen Reformen würden auch mit ihnen umgesetzt.

Unter den Muslimen hat die SDA nun wieder die Oberhand. Der angeklagte Ex-Innenminister Alispahić wurde auf freien Fuß gesetzt. Die Richterin, Jasmin Kapitivica, trat, nachdem sie bedroht wurde, von dem Fall zurück und muss sich seither in Bosnien verstecken. Geheimdienstchef Alibabić wurde mit der Begründung entlassen, er habe zu viele interne Informationen an die Öffentlichkeit gebracht.

Mit Alibabić’ Demission sind die Spuren, die auf eine Zusammenarbeit zwischen Fundamentalisten und Vertretern der muslimischen Nationalpartei deuten, wieder verwischt. Auch in Bezug auf die serbischen Extremisten verhält sich die internationale Gemeinschaft zweideutig. So habe sich, wie Munir Alibabić der taz versicherte, Serbenführer Radovan Karadžić im letzten Sommer in ein Kloster nahe der ostbosnischen Stadt Doboj zurückgezogen. Die internationale Gemeinschaft habe die Gelegenheit verstreichen lassen, den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Karadžić in dem Kloster festzunehmen. Einige SFOR-Kommandanten hätten erklärt, man müsse auf den religiösen Ort Rücksicht nehmen.

Solche Rücksichtnahme auf Extremisten aller Seiten sei gerade die Gefahr, warnen hingegen interne Kritiker der internationalen Institutionen. So könnten sich die fundamentalistischen Kräfte bei den Muslimen wie auch die nationalistischen Extremisten auf serbischer und kroatischer Seite weiter formieren. Der Mord an der kroatischen Familie Andjelić sei dafür ein Indiz.