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Archiv-Artikel

press-schlag Die Reichen und die Guten

Eine kleine Bestandsaufnahme des europäischen Vereinsfußballs anlässlich des heute beginnenden Viertelfinales in der Champions League

Ganz, ganz tief in die historische Mottenkiste müssen Spaniens Zeitungen greifen, um die derzeitige Misere von Real Madrid zu illustrieren. „So wie Napoleon bei Waterloo darauf gehofft hatte, dass es Nacht wurde oder die Preußen kamen, so fiebert Real jetzt dem Comeback des Brasilianers entgegen“, schreibt die Sportzeitung As über das bevorstehende Comeback des Torjägers Ronaldo. Ohne seinen treffsicheren Stürmer scheint dem Hyperteam ein entscheidender Baustein in seinem perfektionsverdächtigen System zu fehlen. Die Zitterpartie gegen Bayern in der Champions League, Niederlagen in Pokalfinale und Liga, gefolgt von internen Schuldzuweisungen, sprechen für den Hauch einer Krise bei Real – und dies ausgerechnet vor dem Viertelfinal-Hinspiel in der Champions League gegen den AS Moncao. Kein übermächtiger Gegner, aber das waren Bilbao, Zaragoza und München zuletzt auch nicht.

Das Beispiel Madrid zeigt jedenfalls, dass auch sehr, sehr viel Geld höchsten Erfolg nicht zwingend garantiert, eine Erfahrung, die andere Klubs weit schmerzlicher machen mussten. Wenn heute bei den Spielen AC Mailand – La Coruña, Porto – Lyon und morgen bei Real – Monaco, Chelsea – Arsenal (20.45, SAT.1) die nächsten Schritte Richtung Europacup in Angriff genommen werden, dann handelt es sich dabei vielleicht nicht um die acht besten Teams Europas, aber zumindest um solche, die eine Menge richtig gemacht haben. Und wer nicht mehr dabei ist im illustren Reigen, muss sich logischerweise fragen: Was haben wir falsch gemacht?

Zu viel geprahlt vor der Saison, ohne dafür eine solide Basis zu haben, lautet das einfache Urteil im Falle der Münchner Bayern, jener Mannschaft, die von ihren letzten 14 internationalen Spielen gerade zwei gewonnen hat. Leidensgenossen sind Manchester United und Vorjahresfinalist Juventus Turin, beide ebenfalls im Achtelfinale gescheitert und in der Meisterschaft ähnlich chancenlos. ManU befindet sich im Prinzip seit seiner grandiosen Saison 1999, die mit dem etwas glücklichen Europacup-Gewinn gegen Bayern endete, im stetigen Niedergang. Der letzte wirklich große Coup von Alex Ferguson war die Verpflichtung Ruud van Nistelrooys, doch der Manager versäumte es, rechtzeitig für eine Entlastung des alternden Trios Giggs, Keane, Scholes als tragende Säule des Spiels zu sorgen – ganz zu schweigen von der fatalen Vergraulung David Beckhams nach Madrid.

Während Manchesters Aus gegen Porto recht kläglich zustande kam, verabschiedete sich Juventus immerhin in zwei hochklassigen Matches gegen Deportivo La Coruña. Der Turiner Erfolg der letzten Saison basierte auf einer famosen Abwehr, die bei Ballgewinn blitzschnell auf Angriff umschalten konnte. Die Scharniere dabei waren Pavel Nedved und Edgar Davids. Deren Wert zeigte sich, als ohne den gesperrten Nedved im Europacup-Finale gegen den AC Mailand das Juve-Spiel komplett lahmte, und in dieser Saison, als es nicht mehr gelang, Davids zu integrieren, der inzwischen beim FC Barcelona rackert. Da auch der Angriff mit Trézéguet und Del Piero oft schwächelte und dort nun ein kleiner, dicker Bursche namens Miccoli sein Unwesen treibt, ist es folgerichtig, dass Turin die Saison abhaken kann.

Als absolute Verlierer der letzten Jahre dürfen neben Borussia Dortmund die Investitionsruinen FC Barcelona und Inter Mailand gelten. Inter kaufte zwar eine beachtliche Ansammlung brillanter und teurer Offensivspieler zusammen, gesellte ihnen aber mit Hector Cúper einen Trainer zu, dessen strikte Defensivphilosphie alles kaputt machte. Ähnlich absurd die katalanische Variante, erst Trainer Louis van Gaal zurückzuholen, der Barças Seele Rivaldo verscheuchte, die restlichen Südamerikaner schnitt, und dann gleich wieder Nachfolger Radomir Antic zu entlassen, der alles notdürftig repariert hatte. Erst jetzt, mit Edgar Davids, spielt das Team von Coach Frank Rijkaard endlich so, wie es dies schon seit Jahren hätte tun sollen.

Während Monaco, Porto und Lyon eher durch eine günstige Mischung von Losglück und Verdienst ins Viertelfinale der Champions League gelangten, verkörpert das restliche Quintett nicht nur die Tugend des Offensivfußballs, sondern auch die zwei Wege des Erfolgs: Madrid, Chelsea und AC Mailand den Weg des Geldes, La Coruña und Arsenal den kontinuierlicher Aufbauarbeit. Bei den Galiziern schafft es Trainer Javier Irureta seit Jahren, mit einer relativ namenlosen Mannschaft wunderbar harmonischen Spitzenfußball zu spielen. Ähnliche Seriosität zeichnet den FC Arsenal aus, wo Arsène Wenger trotz anfänglicher bitterer Schlappen nie in Frage gestellt wurde und sein Team, dessen Kern schon lange besteht, systematisch zu dem entwickelte, was es heute ist: Englands dominierende Mannschaft und der absolute Favorit auf den Gewinn der Champions League 2004. MATTI LIESKE