press-schlag : Im Werderland grassiert plötzlich Größenwahn
Noch acht Spieltage sind in der Bundesliga zu absolvieren, die Zeit der Standortbestimmungen ist gekommen
Fußballtrainer sind wie Brauereipferde. Zumindest was die Scheuklappen angeht. Alles, was sie sehen, ist der Weg, der vor ihnen und ihrer Mannschaft liegt, ihre Welt besteht aus Laufwegen, Zuordnungen, Standardsituationen, und wenn sie etwas sagen, sagen sie am liebsten nichts. Dinge, die über den Fußball hinausgehen, kümmern sie wenig bis gar nicht.
Eric Gerets ist da eine rühmliche Ausnahme. Der Belgier weiß aus leidvoller Erfahrung, welch flüchtiges Glück erreichte UI- oder Uefa-Cup-Plätze darstellen, weshalb er sich gar nicht erst mit Mutmaßungen aufhält, ob es am Ende für seinen VfL Wolfsburg zu Platz acht oder doch eher nur zu Platz neun reichen wird. Lieber sorgt er sich um sein ganz persönliches Wohlbefinden. „Ich möchte gern hundert Jahre alt werden“, sagte der Trainer in Bochum, „aber mit solchen Spielen werde ich nicht mal 60.“ Immerhin sah der früh ergraute Gerets, als er dies sagte, schon mal aus wie hundert.
Bei den anderen Klubs dagegen verzichtet man auf existenzielle Fragestellungen und hält sich streng ans Fußballerische. Der Ostermeister ist gekürt, noch acht Spieltage sind zu absolvieren, die Zeit der Standortbestimmungen ist gekommen. Geradezu verwegen muten die Töne an, die vom amtierenden Champion Werder Bremen zu hören sind. Dort hatte man in der letzten Saison ja noch nach der Meisterfeier bestritten, ein ernsthafter Titelkandidat zu sein, jetzt spricht plötzlich sogar Thomas Schaaf, der Erfinder der kontrollierten Verbaldefensive, so forsch, als habe man ihm einen Großmäuligkeitschip aus dem Bayern-Labor implantiert. „Wir sind Meister und Pokalsieger, das gibt man ungern ab.“ Manager Klaus Allofs assistiert ulihoeneßk: „Die Meisterschaft ist nicht abgeschrieben.“ Deutlicher hätten die Bremer kaum sagen können, wie gründlich sie die Meisterschaft abgeschrieben haben.
Ansonsten spiegeln die Äußerungen perfekt die Kurzlebigkeit fußballerischer Befindlichkeiten wider. Die Verlierer hüllen sich in Sack und Asche, wer gewonnen hat, schwelgt in wonnigen Träumereien. Liga-Zombie Borussia Dortmund zum Beispiel, wo Stürmer Ewerthon nach dem glücklichen 3:2 beim HSV „nach oben schauen“ will, und Trainer Bert van Marwijk zumindest „nicht mehr nach unten“. Oder Bochum, wo Trainer Neururer mathematisch exakt konstatiert: „Die Resthoffnung ist größer geworden.“ Aus dem Rahmen fällt wieder nur die Benelux-Fraktion. „Der Blick auf die Tabelle macht mir keine Sorgen“, merkwürdelt Gladbachs Dick Advocaat, langfristiges Denken stellt nach dem 1:5 beim VfL Bochum einmal mehr Eric Gerets unter Beweis: „Das war eine Blamage. Ich muss darüber nachdenken, welche Konsequenzen das für mich hat – nicht sofort, aber in einigen Monaten.“ MATTI LIESKE