press-schlag : Das Theorem des Jürgen Klinsmann
Die DFB-Elf wird sich noch mehr misslungene Auftritte leisten können, bevor in acht Monaten dann alles anders wird
Der Ansatz von Jürgen Klinsmann, mit seiner Elf Weltmeister werden zu wollen, ist richtig – auch wenn es ein theoretischer Ansatz ist. Der Bundestrainer lässt von diesem Vorhaben nicht ab. Warum auch? Wegen des inferioren Auftritts in Istanbul? Weil die Defizite offensichtlich waren? Weil nicht nur die Abwehr schwächelte? Weil zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine Lücke klafft, die so breit ist wie der St.-Andreas-Graben in Klinsmanns Wahlheimat Kalifornien?
Manch einer will Klinsmann nach dem Wochenende eine Korrektur seines gesteckten Ziels abringen – bis hin zur freiwilligen Aufgabe wegen Unfähigkeit am Ball. Aber Klinsmann hält starrsinnig am Theorem vom WM-Erfolg fest. Es sei die einzig richtige Vorgabe. „Das Ziel zu korrigieren wäre fatal“, formuliert er den zentralen Lehrsatz, der sich mittlerweile zu einer Art Ideologie verfestigt hat. Das Mantra der DFB-Mannen mag so klingen: Wir glauben an den WM-Sieg, weil wir nicht anders können. Glaubten wir nicht daran, würden wir nicht mehr an die Mannschaft glauben. Verlöre das Team den Glauben, fiele ganz Deutschland vom Glauben ab. Was tun? Ganz einfach – Optionen auf die Zukunft ziehen: Was nicht ist, kann werden. Läuft das Turnier erst einmal, wird sich die Elf schon hineinspielen. Ist sie nicht eine Turniermannschaft? Entwickelt das Championat nicht eine eigene Dynamik? Hat das Team beim Konföderationen-Pokal nicht gezeigt, wozu es unter Druck fähig ist? Na also.
Das mag alles stimmen, nur will sich die Öffentlichkeit nicht mehr abspeisen lassen mit Allgemeinplätzen der fiktiven Art. Sie will konkrete Fortschritte sehen – jetzt und nicht erst spekulativ in acht Monaten. Sie will keine wohlfeilen Versprechen, die am Konkreten scheitern. Sie will praktischerweise eine Mannschaft sehen, die sich spielerisch dem Titel nähert. Den empirischen Beweis konnten Klinsmann und Co. am Bosporus nicht liefern. Stattdessen hört man nun von Klinsmann, dass seine Musterschüler zwar ein paar „Kapriolen“ geschlagen hätten, grundsätzlich aber „im Zeitplan“ lägen. Warum also Bange machen, wenn nur die „lautstarken Kommandos auf dem Platz“ fehlen? Wenn das Freundschaftsspiel gegen die Türken nur eine Fußnote in der Geschichte vom großen WM-Sieg ist? Wenn die „Bedenkenträger“ (Klinsmann) nach einem möglicherweise ordentlichen Spiel gegen die Chinesen am Mittwoch ein Glied zurücktreten und von einem „Murren“ in der Bundesliga plötzlich keine Rede mehr ist?
Es wird wohl so kommen: Die DFB-Elf würgt sich bis zur WM. Erst dann wird es ernst. Egal ob es sich um Kritiker oder den DFB-Stab handelt, allesamt werden sie am Ende die magischen drei Buchstaben zu Papier bringen können. Q.e.d. Was zu beweisen war. MARKUS VÖLKER