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Archiv-Artikel

press-schlag Es keepert und wartet und wartet und keepert und keepert und wartet und …

In der andauernden Torwartdebatte ist nur einer der Souverän: Bundestrainer Jürgen Klinsmann

Oliver Kahn hat am Samstag gepatzt. Ist die Torwartfrage damit geklärt? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Entschieden ist sie erst dann, wenn Jürgen Klinsmann sich bequemt und dieser nichtigen Debatte ein Ende bereitet. Ob Lehmann oder Kahn das Tor hütet, ist so erheblich wie die Frage des Platzwartes an den Stadionbetreiber, ob das neue Torgestänge aus reinem Aluminium oder einer Stahllegierung bestehen soll. Die Medien lieben freilich dieses geschmäcklerische Torwartthema. Maßgeschneiderter könnte es nicht sein für die Schlagzeilenmacher dieser Fußballrepublik: Es geht praktisch um nichts, trotzdem hat jeder eine Meinung, so eilig, elaboriert oder überflüssig sie auch sein mag. Wir haben es überdies mit einem Duell zu tun, das prima polarisiert – und wenn der Bundestrainer irgendwann im Mai zu Potte kommt, lässt sich trefflich gegen diese Entscheidung polemisieren. Nonsens!, schreit der Bayern-Block. Gegen jede sportliche Vernunft!, die Lehmänner.

Es ist schwer zu sagen, was zuerst in den Gazetten war: die Torwartdebatte oder die Vogelgrippe. Sie halten sich so stabil in den Blättern wie Druckerschwärze an den Fingern. Ein bisschen hysterische Zuspitzung hier, etwas siebengescheite Expertise da – und schon springt der Infekt auf den nächsten Leser über. Die Krankheitssymptome im Fall der Fangfrage erstrecken sich, wie berichtet wird, noch nicht auf Kahn’sche Aggressionsschübe und Lehmann’sche Megalomanie, nein, die ersten Hinweise für eine Infizierung liefert die allmähliche Keeperisierung des Alltags. Wenn sich die fußballferne Freundin plötzlich mit Kenntnissen der englischen Liga brüstet, im speziellen des FC Arsenal London, die Tochter sich für Kahn stark macht und Passanten in die Rubriken „Das is ’n typischer Kahn“ bzw. „Ein echter Lehmann“ eingeordnet werden, dann sollte H5N1 als das kleinere Problem angesehen werden. Fußballrunden diskutieren in diesen Tagen darüber, ob Kahn Lehmann ist und Lehmann Kahn, und falls nein, wo denn nun die Unterschiede lägen. Auch gern besprochen: Warum die deutsche Defensive einen Leitkeeper hinter sich braucht, einen, der Halt gibt? Es keepert und wartet allerorten. Schuld daran ist wieder einmal Jürgen Klinsmann, wer sonst. Er hat von Anfang an ganz genau gewusst, warum er so lange taktiert, zögert und zaudert. So schaut nämlich alle Welt auf die Duellanten und deren Fangversuche im Strafraum. Klinsmann selbst gerät aus dem Fokus. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf die Torsteher.

Die Strategie ist gut, nur wie kann er die Causa Keeper ins WM-Turnier hinüberretten? Ganz einfach: Lehmann muss jetzt auch noch patzen. Dann gewinnen beide Torsteher Einsicht in die eigene Schwäche – und fahren einträchtig zur Weltmeisterschaft.

MARKUS VÖLKER