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Archiv-Artikel

portrait Jungstar verhandelt Türkei-Beitritt

Er ist ein Schnellmerker. Während andere noch grübeln, weiß Ali Babacan längst Bescheid. War doch klar, dass der Euro nach dem Nein in Frankreich und Holland abstürzen würde, lästerte er über jene, die sich wegen der türkischen Lira Sorgen gemacht hatten. Der von Ministerpräsident Tayyip Erdogan als türkischer Verhandlungsführer in Brüssel nominierte Wirtschaftsminister ist der Jungstar des Kabinetts.

Mit 38 Jahren hat Babacan zwar wenig politische Erfahrung, gilt aber als gewiefter Ökonom. Seit er das Amt von Kemal Dervis übernahm, hat er die Politik des Exweltbankmanagers fast nahtlos fortgesetzt und der Türlei laufend neue IWF-Kredite gesichert. Obwohl er so verhinderte, dass die Regierung ihrer Klientel Subventionen oder Steuergeschenke zuschieben kann, wird er kaum angefeindet. Stattdessen schmückt er sich mit den Wachstumsraten und lässt sich feiern als der, der die Inflation besiegte.

Babacan ist ein Quereinsteiger, den Außenminister Abdullah Gül in die Politik holte. Babacans Nominierung zum Chef-Beitrittsverhandler ist deshalb auch kein Affront gegen Gül, sondern wird dafür sorgen, dass es zwischen Außenministerium und Verhandlungsteam nicht zu Konflikten kommt. Die Verzögerung nach dem Beschluss der Beitrittsverhandlungen hatten bereits zu Spekulationen über ein ernstes Zerwürfnis zwischen Gül und Erdogan geführt. So ist Babacans Nominierung eine politische Aktion, um Irritationen nach dem französischen „Non“ zu beseitigen. Der britische Botschafter, dessen Land am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, nannte Babacan eine „exzellente Wahl“.

Der neue Star der türkischen Politik gehört zu den wenigen polyglotten Figuren der islamisch geprägten Regierung. Nach seinem Studium an der Ankaraer Middle East Universität ging er in die USA, um dort seinen Master zu machen und zu arbeiten. Er gilt als US-geprägter neokonservativer Ökonom, der das internationale Finanzgeschäft gut kennt.

Sein Problem dürfte weniger die Verständigung mit Brüssel sein als die Vermittlung zu Hause. Es fällt schwer, sich Babacan bei einer Bauernversammlung vorzustellen, der er die neue EU-Agrarordnung erklärt. Aus Sicht von Gül und Erdogan nicht unbedingt ein Nachteil: Den Kontakt zum Wähler wollen sie kontrollieren, sonst könnte der Nachwuchsstar zu schnell eine ernste Konkurrenz werden. Obwohl Babacan als liberaler Muslim gilt, gehen die Frauen der Familie nicht ohne Kopftuch aus dem Haus. Seine Frau Hatica machte nur einmal Schlagzeilen, als sie von der Uni verwiesen wurde, weil sie sich weigerte, ihr Kopftuch abzulegen. JÜRGEN GOTTSCHLICH