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Archiv-Artikel

portrait Atatürks Tochter wird höchste Richterin

Ganze 58 Wahlrunden brauchten die elf stimmberechtigten Richter, dann war die Überraschung perfekt: Tülay Tugcu heißt die neue Präsidentin des türkischen Verfassungsgerichtes. Mit der 63-Jährigen sitzt erstmals eine Frau auf dem Sessel des obersten Richters der Türkischen Republik.

Die Wahl ist ein Signal, das die Türkinnen dringend brauchen. Denn die „islamische Moral“ der religiös Konservativen zeigt sich dieser Tage auch an den Stränden: Ganzkörperbadeanzüge für Frauen, aus denen nur das Gesicht, die Hände und Füße hervorschauen und die wegen ihrer Hässlichkeit zum Spott islamistischer Kolumnisten geworden sind.

Verhüllt hat sich Tülay Tugcu nie, denn sie entstammt einer typischen Beamtenfamilie in Ankara und genoss eine säkulare Erziehung. Sie besuchte die TED Ankara Koleji, renommiertestes Gymnasium der Hauptstadt, das sich als „Wissensoase in der Steppe“ bezeichnet.

Nach ihrem Jura-Studium arbeitete sie kurz als freie Anwältin und ging 1969 als Assistentin an den Kassationshof. Nach dreizehn Jahren wurde sie Untersuchungsrichterin und übernahm 1992 den Vorsitz eines eigenen Gerichtes. Zur Richterin am Verfassungsgericht, wo von elf Richtern nur zwei Frauen sind, ernannte sie vor 6 Jahren der frühere Präsident der Republik, Süleyman Demirel. Verheiratet ist die zweifache Mutter mit dem Schwager des Hürriyet-Kolumnisten Emin Cölasan. Cölasan ist erklärter Hauptfeind der moderaten Islamisten in der türkischen Medienlandschaft.

Tülay Tugcu hat Urteile mit unterzeichnet, die islamistische Parteien verboten, aber auch die kurdische Hadep. Sie ist bekannt für eine überaus korrekte Auslegung der „kemalistischen Reformen“ und bezeichnet sich als „aufgeklärte und wehrhafte Demokratin“. Als solche wird sie manche Entscheidung der AKP-Regierung rückgängig machen – wie den Kabinettsbeschluss, wonach Absolventen der Imam- und Predigerschulen von der Polizei übernommen werden sollten.

„Mit meiner Wahl haben meine männlichen Kollegen ihr Engagement für die Gleichstellung bewiesen“, sagte Tugcu. Als erste Anregung schlug sie die Zulassung von Individualklagen beim Verfassungsgericht vor, was vielen den Gang zum Europäischen Menschengerichtshof ersparen würde. Einen Gesetzentwurf der AKP-Regierung, wonach die Zahl der Richter am Verfassungsgericht auf 15 erhöht wird und die neuen Richter vom Parlament gewählt werden sollen, lehnt Tugcu ab. Denn das bedeutet, dass die moderaten Islamisten Einfluss auf das höchste Gericht nehmen. An dessen Spitze hätten sie selbst niemals eine „Tochter Atatürks“ gesetzt.

DILEK ZAPTCIOGLU