portrait : Expertin für britische Justizskandale
Nicht viele Anwältinnen können von sich behaupten, dass sie in einem Film von Emma Thompson gespielt worden sind. Gareth Peirce, auf Menschenrechte spezialisiert, wurde 1989 berühmt, als sie 1989 die Freilassung der „Guildford Four“ erwirkte – vier Iren, die 16 Jahre unschuldig im Gefängnis saßen, weil man ihnen IRA-Bombenanschläge im englischen Guildford in die Schuhe geschoben hatte.
Allerdings hatte Peirce ihre Freilassung nicht wie Emma Thompson im Film „Im Namen des Vaters“ durch einen emotionalen Auftritt vor Gericht erwirkt, bei dem sie einen von der Staatsanwaltschaft unterdrückten Entlastungsbeweis präsentierte, sondern durch jahrelange mühsame Kleinarbeit hinter den Kulissen. Sie war über ihre Darstellung in dem Film deshalb nicht erfreut.
Doch seit dem Fall der „Guildford Four“ und der „Birmingham Six“, die ebenfalls wegen vermeintlichem IRA-Terrorismus 17 Jahre unschuldig inhaftiert waren, bis Peirce sie freibekam, gilt sie als Expertin für Menschenrechte und hoffnungslose Fälle. Sie holte sowohl die angebliche IRA-Bombenlegerin Judith Ward aus dem Gefängnis als auch Frank Johnson, der 26 Jahre für einen Mord absitzen musste, den er nicht begangen hatte. Seit die britische Regierung den „Krieg gegen den Terror“ erklärt hat, vertritt sie mehrere britische Gefangene in Guantanamo Bay und sieben der in England internierten Muslime, die seit drei Jahren ohne Anklage im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh einsitzen. „Man muss nur das Wort ‚Terrorismus‘ sagen, dann ist in diesem Land alles möglich“, sagt Peirce.
Nun ist sie von der Familie des Brasilianers Jean Charles de Menezes engagiert worden, den die Londoner Polizei im Eifer des Terrorkampfs am 22. Juli, einen Tag nach fehlgeschlagenen Anschlägen in London, in der U-Bahn erschoss. „Der Fall ist eine einzige Sauerei“, sagte sie, und wenn sie mit ihm fertig ist, muss Scotland-Yard-Chef Ian Blair vielleicht seinen Hut nehmen. Er wäre nicht der erste Polizeichef, der wegen Peirce aus dem Amt gejagt wird.
Von ihrem Privatleben gibt die Engländerin wenig preis. Sie lebt mit ihrem US-amerikanischen Mann Bill und zwei Kindern im Norden Londons. Peirce studierte Jura in Oxford und engagierte sich in der US-Bürgerrechtsbewegung. Nach ihrer Rückkehr nach England trat sie in das von Benedict Birnberg gegründete radikale Anwaltskollektiv ein, dem damals auch der heutige Kabinettsminister Paul Boateng angehörte. „Sie hat das britische Strafrechtssystem fast im Alleingang transformiert,“ sagte Birnberg über sie. Ihren Orden „Commander of the British Empire“ hat sie zurückgegeben.
RALF SOTSCHECK