portrait : Experiment am eigenen Leib
Die Fotografien der heutigen Ausgabe gehorchen einer anderen Ordnung als sonst. Gewöhnlich sind unsere Fotografien eindeutig einem Artikel zugeordnet und dokumentieren handelnde Personen wie das Ereignis, vom dem dort die Rede ist. Wir schreiben über Dinge, die der Fall sind, und wir belegen das, weil wir mit einem Augenzeugen, dem Fotografen, aufwarten können. Doch hochseriöse Tageszeitungen haben lange auf jedes Foto verzichtet. Und als dieser Verzicht nicht mehr haltbar war, haben sie ihn wenigstens symbolisch auf ihrer Titelseite fortgeschrieben, die ohne jedes Bild auskommen musste. Wer sich seiner Berichterstattung sicher ist, war die arrogante Botschaft, braucht den authentifizierenden Kurz- und Zirkelschluss vom Text auf das Bild und umgekehrt nicht.
Auch wir unterbrechen ihn heute. Aus schierer Lust und Laune. Die Ordnung der Berichterstattung kommt heute allein mit der Sprache aus. Das Bild gehört der Ordnung der Kunst. Und weil das Unternehmen kein pädagogisches ist, geht es allein um das Experiment, wie die Kunst den ihr fremden Raum der Berichterstattung okkupiert. Das ist, wir haben darüber in der Zeitung schon oft gelesen, ein beliebtes Vorgehen der aktuellen Kunst. Nun erfahren wir es am eigenen Leib.
Silvia Becks Kunst ist von den Bildwelten des technischen Alltags, der visuellen Kultur der Gebrauchsanleitungen, Verkehrszeichen, Piktogramme und Logos fasziniert. Computer, Video und Fotografie sind ihre Medien. Diesem Interesse entspricht ihre Professur am Fachbereich Design der Hochschule Niederrhein in Krefeld. Die funktional definierten Bilder, die Silvia Becks künstlerische Arbeit inspirieren, sind durch und durch öffentliche Bilder. Dagegen sind die Bilder des Künstlers oder der Künstlerin eine private Angelegenheit, die ihren Anspruch auf öffentliche Geltung erst durchsetzen müssen.
Vielleicht hat die 1959 in Bingen am Rhein geborene Künstlerin deshalb vor fünf Jahren ihr Alter Ego in der Geheimagentin gefunden. Auch für sie sind die öffentlichen Bilder Anlass und Motiv, tätig zu werden, sei es um an ihrer Vernichtung, sei es um an ihrer Herstellung mitzuarbeiten. Ihre Verfahren, ihre geheimen Informationen in die Öffentlichkeit zu schleusen, können der Künstlerin Strategien liefern, ihre Arbeit publik zu machen. BRIGITTE WERNEBURG