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Archiv-Artikel

portrait Platz für die erste DienerIn des Staates

Die KanzlerIn ist stark. So stark, dass manche schon die Demokratie in Deutschland nach ihr benannt haben und von einer „KanzlerInnendemokratie“ sprechen. Auf die Person kommt es hier erst einmal nicht an (wir können warten), die Rede ist vom Amt.

Die BundeskanzlerIn ist eindeutig ChefIn der Bundesregierung. Auf ihren Vorschlag werden die MinisterInnen ernannt und auch wieder entlassen. Die MinisterInnen sind völlig von der KanzlerIn abhängig. Stürzt sie, fällt zugleich die ganze Regierung. Zwar haben die MinisterInnen die Verantwortung für ihr Ressort und dürfen selbst entscheiden, wer ihnen den Bauch pinselt und die Reden schreibt. Wenn es aber um die großen Fragen geht, kann die KanzlerIn sagen, wo es langgeht. Denn sie bestimmt die „Richtlinien der Politik“.

Diese Vorgaben der KanzlerIn binden zwar nur das Kabinett und nicht den Bundestag, der am Ende die Gesetze beschließt. Da aber die meisten Gesetze in Deutschland eh auf Gesetzentwürfen der Regierung beruhen, ist der Einfluss der KanzlerIn nicht zu unterschätzen. Wenn eine KanzlerIn „Basta“ sagt, dann kuschen zumindest die Abgeordneten der Regierungsfraktionen.

Und wenn sie nicht kuschen, hat die KanzlerIn verschiedene Mittel, die Disziplin zu erhöhen. Entweder – wie es das Grundgesetz schon immer vorsieht – stellt sie die Vertrauensfrage und droht mit Neuwahlen, für den Fall, dass sie verliert. Oder – und das ist dank Karlsruher Großzügigkeit neu – die KanzlerIn setzt einfach Neuwahlen an, weil sie das Gefühl hat, die Abgeordneten denken schlecht über sie. Auf jeden Fall kann sie den Laden zusammenhalten, wenn sie will. (Dass sie im Kriegsfall die Bundeswehr anführt, ist zwar wichtig, gehört jetzt aber nicht hierher.)

Dumm nur, dass es da noch den Bundesrat gibt, dessen Zustimmung bei 60 Prozent der Gesetze nötig ist. Und noch dümmer, dass die Wähler bei Landtagswahlen meist die Partei wählen, die im Bund gerade in der Opposition ist. Deshalb muss die KanzlerIn dann ständig Kompromisse mit einer Opposition eingehen, die eigentlich gar nicht regiert. Und dann sehnt sie sich vielleicht nach Frankreich oder in die USA, denn dort gibt es PräsidentInnen, die deutlich stärker sind als die deutsche KanzlerIn.

Allerdings ist die KanzlerIn immer im Amt. Und wenn die Amtszeit endet, weil ein neuer Bundestag zusammentritt, der es nicht schafft, eine neue KanzlerIn zu wählen, dann bleibt die alte KanzlerIn „geschäftsführend“ im Amt – solange bis es wirklich eine neue KanzlerIn gibt. Ein Deutschland ohne KanzlerIn kann es so fast gar nicht geben. Und Geschäfte, die geführt werden müssen, gibt es immer. CHRISTIAN RATH