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Archiv-Artikel

portrait Ein Entlarver in der lustigen Baracke

Lange Zeit wussten nur wenige Freunde von István Eörsis Leiden. Dann, im August, veröffentlichte er in der ungarischen Literaturzeitschrift Élet és irodalom (Leben und Literatur) eine traurig-schelmische Geschichte über seine Krankheit. „Sie stellte sich letzten November bei mir vor“, schrieb Eörsi. „ ‚Ich bin die akute Leukämie‘, sagte sie und verneigte sich. Ein ganz schrecklicher Schmerz stach mich in den Bauch, während ich sie anlächelte. ‚Sie sind fantastisch‘, sagte ich verkrampft.“ István Eörsi ahnte, dass ihn sein „legendäres Glück“ verlassen würde.

Eörsi war die vielleicht schärfste Stimme in der ungarischen Literatur und Politik, aber er war dabei nicht einfach nur Satiriker oder Komiker. Man konnte viel lachen über seine Geschichten und Theaterstücke und oft auch über seine politischen Polemiken, doch zugleich sprach daraus etwas wie ein furchtbares Entsetzen über „Absurdität und Wahnsinn der Zustände“ – über die kommunistische Diktatur, über die Renaissance des Nationalismus während und nach der politischen Wende 1989 in Ungarn, über osteuropäisches Provinzlertum und westeuropäischen Autozentrismus.

Eörsi wurde 1931 in Budapest geboren und studierte ungarische und englische Literatur. Mitte der Fünfzigerjahre arbeitete er als Journalist und wurde Schüler des marxistischen Philosophen György Lukács. Nach der Niederschlagung der ungarischen Revolution von 1956 wurde er zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, wovon er dreieinhalb Jahre absitzen musste. Nach seiner Freilassung durfte er eigene Schriften offiziell nicht publizieren und arbeitete zumeist als Übersetzer und Dramaturg. 1982 erhielt Eörsi als einer der wenigen Intellektuellen in Ungarn totales Berufsverbot. Es war wohl gerade sein spezieller Humor, der die herrschenden Kommunisten wütend gemacht hatte, entlarvte Eörsi doch in seinen Geschichten und Theaterstücken immer wieder den Mythos der „lustigsten Baracke des Ostblocks“. Zugleich machte er auf unverschämt freche Weise klar, wie wenig Furcht ihm die Diktatur einflößte, etwa in seinem Buch „Erinnerung an die schönen alten Zeiten“, in dem er seine Gefängniszeit beschrieb.

In der Wendezeit wurde Eörsi zu einem Mitbegründer der liberalen Oppositionspartei Bund Freier Demokraten, in der sich der antinationalistische, demokratische Teil der ungarischen Dissidenten versammelte. Sein Intermezzo in der Politik dauerte freilich nur wenige Jahre. Unter anderem weil die Freidemokraten Mitte der Neunziger mit den Wendekommunisten eine Koalitionsregierung eingingen, trat Eörsi aus der Partei wieder aus. Gestern starb er in Budapest im Alter von 74 Jahren. KENO VERSECK