portrait : Kämpfer mit Herz für die Politik
Politik ist Boxen mit anderen Mitteln: Vitali Klitschko, gerade als Schwergewichtsweltmeister wegen immer mehr Verletzungsproblemen abgetreten, kann sich eine Karriere als Berufspolitiker vorstellen. „Wenn die Kiewer Bürger meine Initiativen unterstützen, schließe ich es nicht aus, im März bei der Bürgermeisterwahl anzutreten“, sagte der ältere der beiden Klitschko-Brüder gestern in seiner Heimatstadt Kiew.
Während der „Revolution in Orange“ hatte Klitschko die Reformer um den damaligen Oppositionsführer und heutigen Präsidenten Juschtschenko unterstützt – und anders als von seinem Bruder Wladimir existieren von ihm auch keine Aufnahmen, wie er den Ring auf allen vieren verlässt.
Der promovierte Sportwissenschaftler und Zweimetermann, der zusammen mit seinem Bruder vom Hamburger Boxstall Universum aus zunächst in Deutschland und dann weltweit populär wurde, hat sich im Ring nur zweimal geschlagen geben müssen: Einmal, am 4. April 2000, gegen Chris Byrd, spielte seine Schulter nicht mit, und er gab auf. Das kostete ihn zum ersten Mal den Weltmeistertitel, trug ihm den Ruf des Weicheis ein und schreckte insbesondere den wichtigen US-amerikanischen Fernsehkanal HBO vom Erwerb weiterer Rechte an Klitschko-Veranstaltungen zunächst ab. Doch Klitschko kam wieder, boxte sich erneut nach oben, erhielt eine neue Chance – und verlor am 22. Juni 2003 in einem atemberaubenden Kampf gegen Lennox Lewis seine nächste Chance auf die Weltmeisterschaft, weil der Ringarzt den Fight wegen schwerer Cutverletzungen Klitschkos abbrach. Bis heute streitet die Boxwelt darum, wer wohl gewonnen hätte, wenn nur der Cut nicht gewesen wäre. Jedenfalls hatte Klitschko so viel eingesteckt, dabei selbst reichlich ausgeteilt und so vehement gegen die – richtige – Entscheidung des Ringarztes protestiert, dass sein Ruf wiederhergestellt war. So ist Boxen: Nur wer sich anständig blutig schlagen lässt und dabei voranmarschiert, gilt als Kämpfer mit Herz.
Zwar gab es vor einer Woche noch einmal Gerüchte, Klitschko würde in den Ring zurückkehren, wenn das auch Lennox Lewis täte, um die alte Rivalität von damals zu klären – doch Klitschko dementierte sofort und erklärte seine aktive Karriere für endgültig beendet.
Was Klitschko dafür qualifizieren sollte, Bürgermeister von Kiew zu werden, bleibt allerdings unklar. Populär ist er: Kaum ein Produkt, für das die Klitschko-Brüder, die familienfreundlichste Variante des Schwergewichts, in den letzten Jahren nicht ihr Gesicht zur Werbung hingehalten hätten. Und wenn ein Arnold Schwarzenegger Kalifornien regieren kann … BERND PICKERT