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Archiv-Artikel

portrait Italiens unzuverlässiger Gregor Gysi

Über Jahre waren sie sein Markenzeichen: die dunkelgrünen oder dunkelbraunen Kord- oder Wolljacken zur farblich abgestimmten Hose mit passender Krawatte. Das signalisierte: Fausto Bertinotti ist anders. Die anderen politischen Männer Roms tragen Dunkelblau oder Grau, bloß der Kommunistenchef ist bei der langweiligen Nummer nicht dabei.

Da mag man persönliche Eitelkeit vermuten – immer wieder wird Bertinotti als „Kaschmirkommunist“ geschmäht –, schlichtes Kalkül oder einfach persönlichen Geschmack. Aber nicht nur beim Look gilt: Bertinotti fällt auf in Roms Politikbetrieb. Talkshow-tauglich ist er allemal. Während andere Linkspolitiker sich in langatmigen Erklärungen verlieren, formuliert er klare 30-Sekunden-Sätze. Charmant, gelegentlich witzig, nie aufbrausend, ist er ein bisschen Italiens Gregor Gysi.

Schon beim Gewerkschaftsbund CGIL galt er als Redetalent. Mit 35 schon war er dessen Chef im Piemont – der Region mit Turins Fiat-Werken. Gewerkschaftsinterne Gegner lästerten, er habe nie einen Tarifvertrag unterschriftsreif ausgehandelt. Der schwierige Kompromiss sei nicht seine Sache. Am meisten misstrauten die alten Kommunisten dem feurigen Junggewerkschafter, der von den Linkssozialisten stammte und 1972 zur KPI stieß.

Seinen Aufstieg bremste das Misstrauen nicht. 1985 zog er in den nationalen CGIL-Vorstand ein – und meckerte aus dieser Position gegen die „Rechtsentwicklung“ der Kommunisten, deren Mehrheit 1991 die Partei der Linksdemokraten gründete. Die Minderheit hielt die rote Fahne hoch und machte als Rifondazione Comunista weiter – zunächst ohne Bertinotti.

Der stieß erst 1994 dazu, gleich als Parteichef, angeworben vom Gründer Armqando Cossutta. Dessen Rechnung ging auf: Bertinotti wurde zum PR-wirksamen Gesicht der Partei. Doch ließ er sich von dem alten Apparatschik nicht herumkommandieren. Beide waren sich 1996 in der Stützung der ersten Regierung Prodi noch einig. 1998 war Cossutta auch, doch Bertinotti setzte um den Preis der Parteispaltung den Bruch durch.

Damit hatte er freie Bahn, konnte Rifondazione zur in der globalisierungskritischen Bewegung stark engagierten Partei machen, konnte die Abkehr von Revolutions- und Gewaltmythos durchsetzen und für 2006 ein neues Bündnis mit Prodi knüpfen. Im Mitte-links-Lager halten ihn viele immer noch für so unzuverlässig wie 1998, weshalb er als Präsident des Abgeordnetenhauses eine Fehlbesetzung sei. Dabei signalisiert er wenigstens auf einem Feld neue Zuverlässigkeit: Als künftiger „Presidente della Camera“ trägt er plötzlich nur noch dunkelgrauen Nadelstreifen. MICHAEL BRAUN