portrait : Der Anwalt der russischen Dissidenten
Zu seinem 69. Geburtstag hat die Heinrich-Böll-Stiftung dem russischen Anwalt Juri Schmidt gestern den Petra-Kelly-Preis verliehen. Der Petersburger machte jüngst als Mitglied des Verteidigerteams des Ölmagnaten Michail Chodorkowski von sich reden, in dem er als Menschenrechtler in erster Linie den Oppositionellen erblickt. „Ich verkaufe mich nicht“, sagte Juri Schmidt dazu.
Für die Ökologiebewegung erzielte er Ende der 90er-Jahre einen Riesenerfolg mit dem Freispruch des Marinehauptmanns der Reserve Alexander Nikitin. Der war der Spionage angeklagt, weil er, auf öffentliche Quellen gestützt, vor radioaktiver Verseuchung des Nordmeeres gewarnt hatte. Die Böll-Stiftung würdigt Schmidts Engagement für den Aufbau eines Rechtsstaates in Russland und seinen Kampf gegen die selektive Anwendung von Gesetzen.
Opfer juristischer Willkür wurde Schmidt selbst schon als Baby. Sein Vater wanderte drei Wochen nach seiner Geburt in den Gulag. Schmidt war bereits Jurastudent, als er den Vater bei dessen Freilassung kennen lernen konnte. In Schmidts Elternhaus verkehrten Dissidenten wie der damals verfemte Dichter Jossif Brodski und der Semiotiker Juri Lotman. Heute hat Schmidt selbst zwei Söhne.
Sein Eingreifen im Fall Nikitin veränderte das russische Rechtswesen. Denn der Inlandsgeheimdienst FSB lehnte Schmidt als Verteidiger ab und verpasste Nikitin einen als „zuverlässig“ geltenden Pflichtverteidiger. Schmidt klagte vor Russlands Verfassungsgericht und gewann. Erst mit diesem Urteil wurde 1997 die freie Anwaltswahl in Russland zur Norm.
Eine fragile Errungenschaft, wie sich zeigt. Ende 2005 beantragte die Generalstaatsanwaltschaft bei der Petersburger Anwaltskammer Schmidts Ausschluss, also ein Berufsverbot. Als „Pflichtverletzungen“ warf man ihm sein Fehlen bei einigen Sitzungen des Prozesses gegen Chodorkowski vor, während derer zum Beispiel die Richterin stundenlang im Flüsterton die Anklage vorlas. Aber die Petersburger Anwaltskammer stellte sich hinter Schmidt. Dafür berät die Staatsduma jetzt ein Gesetz, das die selbstständigen Anwaltskammern auflösen soll.
Trotzdem glaubt Schmidt, dass sich Recht und Gesetz in Russland durchsetzen, und sei es mit Hilfe des Westens. Als die Behörden seinen Teamkollegen im Falle Chodorkowski, den kanadischen Anwalt Robert Amsterdam, des Landes verwiesen, kommentierte er: „Ich klatsche diesen Leuten Beifall, denn sie helfen uns dabei, ihr eigenes verbrecherisches Antlitz zu enthüllen. Das wird allen im Westen die Augen öffnen, die noch nicht begriffen haben, was in Russland vorgeht.“
BARBARA KERNECK