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Archiv-Artikel

portrait Der Rock-’n’-Roller geht – fast ohne Show

Zum Abschied bekam Joschka Fischer Wein geschenkt. Sechs Flaschen baden-württembergischen Rotwein, davon drei 99er Spätburgunder Isabel und drei Syrah. Und sechs Flaschen Rotwein „quer durch das Piemont“. Diese Auswahl, hieß es, entspreche sowohl den Vorlieben des schwäbischen Fraktionschefs Fritz Kuhn als auch denen des Italienfans Fischer. Von Parteichefin Claudia Roth kam ein i-Pod – zum Joggen.

So unaufgeregt wie möglich trennten sich gestern Nachmittag die Bundestagsfraktion der Grünen und ihr 51. Abgeordneter, der frühere Außenminister Joschka Fischer. Die Reden sind wie die Gefühle dem Vernehmen nach nicht ausgeufert.

Und doch sprach Fischer – der sichtlich weniger joggt als früher – später zur Presse von „Wehmut“. Der Lebensabschnitt Parlamentspolitik sei nun vorbei, „und alle Überlegungen, der kommt wieder zurück, können Sie vergessen“. Bestenfalls „vom Altenteil aus“ werde er seiner Partei noch beistehen. Je nun – „wenn ich an die Himmelspforte klopfe und Petrus sagt: ‚Wir brauchen dich als Special Representative von Godfather‘, dann werde ich nicht sagen, dass ich nur zum Kyrieeleison-Singen da bin“, sagte der 58-Jährige. Bis dahin aber übernehme er kein politisches Amt mehr. Über den Sommer wolle er sein Mandat niederlegen, sodass der 31-jährige Omid Nouripour nachrücken kann. Zum Wintersemester tritt Fischer eine Gastdozentur an der Universität Princeton bei New York an. Er gibt dort erst ein Anfängerseminar zu „Internationaler Krisendiplomatie“, im Frühjahr 2007 ein Graduiertenseminar über Europa und Amerika.

Das Parlament und sein Publikum müssen schon seit der Wahl ohne den Pointenproduzenten Fischer („Ich war einer der letzten Live-Rock-’n’-Roller der deutschen Politik“) auskommen. Seitdem die Grünen Opposition sind, tauchte er nur hin und wieder im Bundestag auf, um alte Bekannte im Vorbeigehen kurz zu demütigen und sich mit verschränkten Armen in die letzte Reihe zu setzen. Ein einziges Mal, im Januar, redete er der Fraktion noch ins Geschäft. Heftig polemisierte er gegen einen Geheimdienst-Untersuchungsausschuss und brachte die grünen Truppen prompt ins Schleudern. Die sagten darauf der Presse Schlechtes über ihn und bewiesen so ihre ganz sicher endgültige Abnabelung.

Fast endgültige Abnabelung. Wie auch der Abschied nur ein fast endgültiger ist. Im Herbst wollen die Grünen für ihr Leittier und Wahlkampfwunder einen Außenpolitik-Kongress veranstalten. So kann dann auch keiner sagen, ab heute werde Fischer nur noch zu seinen Auftritten im BND-Untersuchungsausschuss einfliegen.ULRIKE WINKELMANN