politik der sprachen : Ohne Identität
„Der Schacht von Babel“ heißt das erste auf Deutsch geschriebene Buch des Philosophen Boris Buden, der sich als österreichisch-ungarisch-kommunistischer Kroate bezeichnet. Das habe zwar keinerlei Gebrauchswert habe, aber einen Marktwert – wenn mal wieder für irgendeine internationale Konferenz ein Osteuropäer, ein Postkommunist oder ein Kroate gebraucht werde.
Zu Hause ist der in Wien, Zagreb, Berlin und London lebende Buden „in keiner Sprache mehr“, er lebt „in der ständigen Übersetzung“. Zumal die jetzige (neue) kroatische Sprache seit dem Krieg gegen Serbien „von oben verordnet wird“. Dies geht auch polnischen, serbischen und russischen Exilanten so, wenn sie heute ihre alte Heimat besuchen: Die dort gesprochene Sprache hat sich in den letzten 14 Jahren von ihnen entfremdet. Das Herausarbeiten der Differenz (zwischen Serbisch und Kroatisch) bedarf laut Buden „einer sprachwissenschaftlichen Anstrengung, wenn nicht, kümmert sich der Staat darum“, Gleiches gilt für eine gemeinsame europäische Kultur. Die österreichisch-ungarische Herkunft des Kroatischen brachte ihn in diesem Zusammenhang dazu, sich von jeglicher Identität zu verabschieden.
Übersetzungsprobleme sind für ihn politische Probleme, wobei es ihm konkret um eine noch zu schaffende gemeinsame Kultur geht: „Darauf gibt es keine nichtradikale Antwort. Soll es eine Art Meganation werden oder eine neue Form von Föderation?“ Den Begriff der Multikulturalität lehnt Buden dabei ab, weil er eine Art Patchwork von Identitäten bedeutet, die jede für sich auf ihre Reinheit pochen, wo es sich in Wahrheit längst um Hybriditäten handelt – in der zudem die Vergangenheit als fremde Kultur erinnert wird. In diesem Zusammenhang entstehen überall im Osten „Museen des Kommunismus“, in Kroatien spricht man vom „Serbokommunismus“ oder in Tschechien von der „russischen Vergangenheit“.
Wie überhaupt rund um den Globus laut Buden spätestens seit 1989 und vor allem seit dem 9. 11. die politischen Probleme zunehmend nur noch als kulturelle wahrgenommen werden, „es gibt geradezu eine Hegemonie des Kulturbegriffs“. Man spricht von Körperkultur, Wohnkultur, politischer Kultur, Unternehmenskultur usw. „Diese Kultur läßt sich aber in nichts anderes mehr übersetzen.“
Der postfaschistische Geopolitiker Samuel Huntington ist für ihn ein Multikulturalist, weil er die unterschiedlichen Kulturen sauber auseinander halten möchte, während Buden demgegenüber davon ausgeht, dass durch die Anglifizierung, Französisierung und Russifizierung beispielsweise der deutschen Sprache diese reicher wird – und nicht ärmer. Obwohl er dabei immer irgendwelche Mächte, Staaten, nationalistische Interessen am Werk sieht, unterscheidet Buden jedoch nicht, ob diese Übersetzungstätigkeit von oben oder von unten geschieht. Kommt es demnach aufs selbe heraus, wenn das Englische wie zunächst ab den Sechzigerjahren aus der US-Studentenbewegung und der Rockmusik hier einfließt oder, wie nun, fast ausschließlich über die wissenschaftliche, wirtschaftliche und militärische Dominanz der USA?
Für Buden hat das Konzept der permanenten Übersetzung selbst einen universellen Anspruch, wobei er ein ganz anderes oben und unten am Werk sieht: Einmal die alte Mehrsprachigkeit der polyglotten Gebildeten und zum anderen die mühsamen Verständigungsversuche der arbeitsuchenden Migranten, die zusammen bereits ein Babylon geschaffen haben. Mit Walter Benjamin geht Buden davon aus, „die Übersetzung berührt das Original wie eine Tangente den Kreis – danach sucht sie sich eigene Ziele“. Wiewohl die erste Übersetzerschule Mitte des 13. Jahrhunderts im arabischen Toledo entstand, setzt Budens Untersuchung, die der sprachlichen Gemeinschaftsbildung misstraut, mit den ersten Übersetzungstheorien der Romantiker Wilhelm von Humboldt und Friedrich Schleiermacher an, denen es bei der Übertragung fremdsprachiger Texte um eine Verstärkung der „eigenen“ – damals noch national verstandenen – Ausdrucksfähigkeit ging. Buden zielt demgegenüber auf eine „hybridisierende“ Übersetzung zur Beförderung der gesellschaftlichen Emanzipation.
HELMUT HÖGE
Boris Buden: „Der Schacht von Babel. Ist Kultur übersetzbar?“. 210 Seiten, Kulturverlag Kadmos, Berlin 2004, 20,50 Euro