pizza roma, indische küche von WIGLAF DROSTE :
Losfahren ist schön, egal wohin. So lang war der Winter, jetzt aber ist es hell geworden – beinahe, als hätte es die Dunkelheit nicht gegeben. Ein Seufzen entringt sich dem verwinterten Menschen, langfingrige Sonnenstrahlen streicheln das Gesicht, es leuchtet. Wärme durchrieselt den Körper, mit geschlossenen Augen hebt sich das Gesicht dem Hellen entgegen, ein Lächeln glättet die Züge: O ja, eine Ausfahrt, mit allen Schikanen, yippieh!
Frische, schnelle Musik wirft der umsichtige Beifahrer in den CD-Spieler, so fährt es sich wie von allein. Nordwärts schnurrt der Wagen aus Berlin heraus. Warum nicht nach Chorin fahren? Aus dem Beifahrer baedekert es bereits: Kloster Chorin, erster vollständiger Backsteingotikbau Mittel- und Nordeuropas, erbaut von 1273 bis 1334. Toll, sagt die Chauffeurin, ganz tolles Allgemeinwissen, prima, komma her, lass dichma küssen. So.
Eine Ausflugssaison ist eine Ausflugssaison und muss also eröffnet werden. Irgendwann ist der Frühling fällig, dann gurkt man los. Wenn nichts anderes da ist, muss man nach Brandenburg. Die Brandenburger Architektur nach 1945 heißt Brandenburger Barack, ihre Nachfolgerin nach 1989 heißt Autohaus. Anfälle von Baumarkt sind ebenfalls reichlich anzutreffen, allerlei „Wasch-Center“ sind vertreten, was einmal Bäckerei war, heißt „Snax ’n Café“. Exotischen Charme verströmt die Brandenburger Gastronomie: „Pizza Roma – Indische Küche“, heißt es lockend an einem Restaurant.
Da man den Morgenchorin mit etwa zehntausend anderen Besuchern teilen müsste, fährt man rasch am Kloster vorbei, nach Brodowin, einem ökologischen Kirchspiel. In der Kirche, einem Stüler-Bau von 1853, hockt noch grimmig der Winter. „Freuet euch in dem Herrn“, steht vorn am Altar – ja, in dem Herrn wäre es wohl wärmer. Doch wie kommt man hinein?
Fröstelnd wie nie unter Heiden fliehen wir das Gotteshaus, in dem auch Kulturereignisse feilgeboten werden: „Alle Grünkraft sammle ich in meinem Herzen – Lieder und Lyrik mit Kerstin Knabe und Kristina Twarz.“ Edmond und Jules de Goncourt schrieben dazu in ihren Tagebüchern schon am 24. Januar 1868: „Wenn es einen Gott gibt, muß der Atheismus ihm wie eine geringere Beleidigung vorkommen als die Religion.“
Zerdroschen und zerschmettert ragt die Brandenburger Restnatur in die Optik. Bei neuen Einfamilienhäusern erfreut sich die Fassade aus Natursteinimitat großer Beliebtheit, für das Dach nimmt man gern lackierte Ziegel in Rot oder Grün, es gibt diese Augenfolter aber auch in Blau. Inmitten der zersiedelten Brandenburger Armutszivilisation findet sich da und dort Naturähnliches: ein See, ein grünes Feld voll weißer Möwen. Werbetexter können daraus ein Prospektparadies basteln.
Und tun es, auf dem Parkplatz des Tagungshotels der Berlin-Brandenburger Wirtschaft (bbw) in Hubertusstock: „Das Team des bbw Kommunikationszentrums und die Araltankstelle in Finowfurt möchten, dass Sie nach erfolgreicher Tagung wieder sicher nach Hause kommen … Einen beheizten Eiskratzer hält die Rezeption bereit.“ So spricht der Mensch zum Brandenburger: Lasst mich hier liegen, es ist nur ein Eiskratzer.