philosophie ist pop : Volles Haus für Judith Butler
Judith Butler ist eine begehrte Frau. So begehrt, dass sie für ihren Vortrag „Frames at War“ mehr Platz benötigt, als der größte Hörsaal der Freien Universität bieten kann. Doch der Veranstalter, das Dahlem Humanities Center (DHC), hat vorgesorgt: Am Ausgang des U-Bahnhofs Dahlem-Dorf informiert ein Helfer die Menschenströme über die nötig gewordene Raumänderung. Im Gebäude wird Butlers Vortrag auf Videowände in vier Nachbarhörsäle übertragen.
Die Vorlesung bildet den Abschluss der diesjährigen Hegel-Lectures des DHC. Etwa 3.000 Besucher wollen die Grande Dame der Genderforschung aus den USA live erleben. Viele haben das Nachsehen und müssen auf die Nachbarräume ausweichen. „Wozu haben wir denn reservieren lassen, wenn wir das jetzt nur auf Video zu sehen kriegen?“, empört sich jemand. Andere nicken. Angesichts des Platzmangels scheint es vielen geradezu absurd, dass der Sprecher des DHC, Joachim Küpper, in seiner Begrüßungsrede die FU stolz als Eliteuniversität präsentiert. „Das ist echt unglaublich“, raunt eine brünette Studentin ihrem Platznachbarn zu.
Doch als Butler mit großformatigen Notizblättern in der Hand an das hölzerne Rednerpult tritt, mit einer gekonnten Handbewegung das Mikrofon tiefer schraubt, da ist die aufgeheizte Stimmung plötzlich verpufft. Klein ist diese Frau, viel zu klein für die karge Bühne. Bevor die in Berkeley lehrende Professorin für Rhetorik und Vergleichende Literaturwissenschaft zu sprechen beginnt, streicht sie sich die kurzen grauen Haare aus dem Gesicht und erklärt in lupenreinem Deutsch, dass sie den Vortrag in englischer Sprache halten werde.
Meike Deppert hört Butlers Ausführungen zu den Wechselwirkungen medialer Bilder und moderner Kriege so gebannt zu, dass der mitgebrachte Zettel für Notizen in Vergessenheit gerät. Die 24-Jährige mit dem rotblonden Zopf, die zusammengekauert auf dem roten Teppichboden vor der Bühne sitzt, studiert Kulturwissenschaften an der Europauniversität Viadrina in Frankfurt (Oder). In letzter Zeit interessiert sie sich immer stärker für Geschlechterforschung, nun schreibt sie ihre Bachelorarbeit zum Thema Intersexualität. Klar, dass Butler da nicht fehlen darf, sagt Meike und grinst.
Im Hörsaal nebenan verfolgt der FU-Student Maik Müller über die Liveschaltung Butlers Ausführungen. Die leichte Vogelperspektive der Kamera lässt Butler noch zerbrechlicher wirken, als sie tatsächlich ist. Ihre „sympathische“ Art nimmt man trotzdem wahr, findet Maik. Der Philosophiestudent ist von der Aktualität von Butlers Theorien sehr angetan. Die Frage, inwieweit die Wirklichkeit durch ihre medialen Bilder geprägt ist, beschäftige ihn besonders, erzählt er.
Nicht wenige aus den Reihen der zukünftigen Elite hatten allerdings große Mühe, dem anspruchsvollen Vortrag zu folgen. Das hohe philosophische Niveau, die Querverweise auf Hegels „Phänomenologie des Geistes“ und die Fremdsprache seien für Studienanfänger wie ihn einfach zu schwierig, gibt der 23-jährige Erziehungswissenschaftler Robert Schmidt zu.
Und Judith Butler selbst? Die zeigt sich von den Erwartungen ihres Publikums unbeeindruckt: „I don’t know what they’ve expected“, resümiert sie den Abend und zuckt mit den Schultern, „but that’s what they got!“ALEXANDRA KUNZE