peter ahrens über Provinz : Die Inquisition war nicht so schlimm
Wem der Fernseher das Gründeln in den Untiefen der Frömmelei versaut, der muss mit der Lebenswelt vorlieb nehmen
Als ich mich vor Tagen an meine Kindheit erinnern wollte, ging mein Fernsehapparat kaputt. Er tat das gerade in dem Moment, in dem das Seniorenstift vom Lerchenberg, das manche auch als Zweites Deutsches Fernsehen kennen, mir weismachen wollte, die heilige Inquisition sei vorzugsweise von scharfgesichtigen, geschmackvoll riechenden Männern betrieben worden, die lediglich ihren Job verdammt gut machten, als sie religiöse Irrläufer in Asche verwandelten. Mir Parallelen zu meiner schwerstkatholischen westfälischen Jugendzeit zurechtzulegen, hätte nicht allzu viel Mühe gemacht. Schließlich hat mir noch letztens ein Bekannter aus der kalten Heimat erzählt, seine Nachbarn hätten ihm gegenüber kundgetan, der Ofen sei aus, wenn ihre Tochter „mit einem Evangelischen vor der Tür stehen würde“. Aber ansonsten sehr nette Leute. Es ist halt das wilde 21. Jahrhundert in Paderborn.
Aber ich kam gar nicht dazu, weiter in den Untiefen der Frömmigkeit zu gründeln. Es tat ein mächtiges Bitzeln in meiner Wohnstube, und die Mattscheibe ward schwarz. Kein Ton mehr, nicht einmal Kerner, gar nichts. Seitdem sind meine Abende leer.
Ich habe es versucht. Ich habe mir einen Grappa eingeschenkt, die Heizung hochgedreht und Kerzen angezündet. Endlich Gelegenheit, Bekanntschaften zu pflegen, lange Briefe zu schreiben, alte Freunde anzurufen, die seit mehreren Wintern von mir unbehelligt geblieben sind.
Zeit für gute Gespräche, wie das so schön bei Neujahrsempfängen der FDP zum Schluss der Begrüßungsworte heißt: „Jetzt wünsche ich Ihnen noch guten Appetit am Buffet und gute Gespräche.“ Wobei wahrscheinlich noch niemals jemand mit einem Kreisvorsitzenden der Jungen Liberalen ein gutes Gepräch geführt hat. Weil Gespräche über die Verschlankung der öffentlichen Verwaltung und die Freigabe des Ladenschlussgesetzes einfach nicht gut sind, so angestrengt sie auch geführt werden.
Der erste Bekannte, den ich angerufen habe, erzählte mir, dass es ihm total gut gehe, dass er jetzt auch nicht mehr so viel arbeite und er letztens noch ein Wochenende damit verbracht habe, mit sieben anderen Männern – allesamt gut verdienende Stützen der freien Wirtschaft, die ihre Rolex abgelegt hatten – angetrieben von einem ziegenbärtigen Seminarleiter im Wald eine kleine Hütte aus Reisig zu bauen. In der wurde anschließend zu acht nackt und schwitzend gehockt und über das verpfuschte Dasein und die Konjunkturflaute nachgedacht, während draußen Väterchen Frost seinen Hobbys nachging. Der Ziegenbart habe dafür auch nur 500 Euro kassiert, inklusive Material für die Schwitzhütte.
Dann erzählte er mir noch, dass seine Nachbarn daheim zuweilen seine Paketpost entgegennehmen, wenn er selbst nicht daheim ist. Und er bekomme oft Buchpäckchen. Weil er sich das Aufsuchen von Buchläden zeitlich nicht mehr so recht erlauben könne, bestelle er halt bei Amazon. Die Päckchen bekomme er auch mal geöffnet von den Nachbarn ausgehändigt. Aber sonst sehr angenehme Leute. Der Grappa begann, seine Arbeit zu tun.
Die nächste Freundin, die ich telefonisch reanimierte, war in der Zwischenzeit in die Verwerfungen der Medienbranche geraten. Einst wusste sie von rauschenden Einweihungspartys zu berichten, bei denen in den neu angemieteten Büroräumen mitten im Bankenviertel auf drei Etagen mit zwei verschiedenen Discos und drei Hummersorten der Börsengang des Unternehmens gefeiert wurde. Mittlerweile ist die Firma von 120 auf 30 Leute gesundgeschrumpft, die Entlassungen wurden den Geschassten über ihre Handys mitgeteilt. Und dabei hätten sie noch Glück gehabt. Eine andere Firma habe alle ihre Beschäftigten übers Wochenende ins Hotel eingeladen. Die, die ungerade Zimmernummern zugeteilt bekamen, wurden gefeuert, die mit den geraden Nummern konnten erst mal bleiben.
Den dritten habe ich nicht mehr angerufen und stattdessen die Grappaflasche ausgetrunken. Womöglich war die Inquisition wirklich nicht so schlimm. Jetzt sitze ich nur noch still und warte auf den Fernsehtechniker. Wenn ich Glück habe, kommt er noch vorm Wochenende. Die Suche nach dem Superstar geht in ihre heiße Phase.
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