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Archiv-Artikel

peter ahrens über Provinz Rehabilitiert die Generation Playmobil!

Das mindestens fünftärgerlichste Buch aller Zeiten muss völlig neu interpretiert werden. Hm …

Als in meinem Fernsehapparat vor Tagen bei Harald Schmidt Super-8-Kurzfilmchen aus Paderborn aus den Jahren 1981 und 1982 abgespult wurden, blieb mir nichts übrig, als mich an meine Jugend zu erinnern.

1982 ist mir als das Jahr im Gedächtnis geblieben, in dem Patrick Battiston seiner Schneidezähne verlustig ging (siehe untenstehenden Kasten) und ich meine erste BAP-LP bekam. Auf der kündete Wolfgang Niedecken, wie sich im fernen Bonn am 10. Juni hunderttausende Nachrüstungsverächter die Beine in den Bauch gestanden hatten. Wir staunten.

Bei uns hatten nur ein paar versprengte Friedensfreunde in der Schülerzeitung perspectus einen Artikel darüber veröffentlicht, dass das wilde Aufstellen von Pershings vielleicht doch nicht der politischen Weisheit allerletzter Schluss sein könnte. Sie waren folgerichtig daraufhin vom Schulleiter für ein paar ernste Worte ins Direktorzimmer gebeten worden.

Knapp zehn Jahre und einen Golfkrieg später hatte es eine Hand voll tollkühner AStA-Funktionäre gewagt, die Hauptkreuzung in der Innenstadt zu besetzen, nachdem die Amis den Abendhimmel über Bagdad in apfelshampoogrünes Leuchten getaucht hatten. Einzige Reaktion darauf an der Uni war, dass ein paar Studierende die Aktionisten dafür anmaulten, weil während der Besetzung die Kopierer im AStA-Büro nicht benutzbar waren.

Es waren halt die domestizierten 90er-Jahre in Paderborn.

Mit dem öffentlichen Erinnern ist es ja so eine Sache. Entweder erhält man Wäschekörbe voller Leserpost, in denen dem Schreiber versichert wird, die Heimatstadt habe sich in der Zwischenzeit „in einem unvorstellbaren Maß in Richtung Urbanität und Säkularität verändert“. Und man wird unter Androhung körperlicher Gewalt der passionierten Nestbeschmutzung geziehen.

Oder man schreibt viermal das Wort „Prilblume“, packt noch siebenmal „Bonanzarad“ und dreimal „Percy Stuart“ obendrauf, lässt en passant die Wortkombination „drei Fragen aus der ‚Tagesschau‘“ in Zusammenhang mit dem Ausdruck „gespielter Witz“ fallen und hat auf diese kommode Weise einen veritablen Bestseller zusammengeschustert.

Deswegen stand auch Florian Illies’ „Generation Golf“ auf meiner persönlichen Liste der ärgerlichsten Bücher unserer Zeit souverän und seit ewig unter den Top Five. Stante pede zum Apologeten einer ganzen Generation aufgerückt ist, wer nur penetrant genug aufschreibt, dass er mit Playmobil gespielt, Modern Talking und Kajagoogoo gehört und Karl-Heinz Rummenigge bewundert hat, ein bisschen Eissorten-Namedropping betreibt und mantramäßig „Kinderparadies bei Ikea“ skandiert.

Irgendwie habe ich es nie so recht verstanden, dass es eine literarische Sensation sein soll, seine Poesiealben und Kindertagebücher zwischen Buchdeckel zu pressen und das Fernsehprogramm aus einer alten Hörzu abzuschreiben. Immerhin habe ich bei Illies gelernt, dass alle Journalisten dieser Republik einen gelben Stabilo-Point-Kugelschreiber verwenden. Sofern sie was auf sich halten.

Ich habe bis dato nicht gewusst, dass es so etwas gibt, geschweige denn jemals einen Kollegen bei Pressekonferenzen mit einem Stabilo schreiben sehen, sondern stets mit dem geschnorrten Kuli der Hamburger Sparkasse oder der Polizeigewerkschaft. Wahrscheinlich weil sie alle der Generation Fiat Panda angehören.

Aber: Ich hab das Buch nun noch einmal gelesen und verstehe erst jetzt, wie das alles gemeint war. Das ganze Christian-Kracht-Fitnessstudio-Verona-Feldbusch-Börsengequatsche – alles nur moderne Kassandrarufe eines Weisen, der sich in die Welt der Satire gerettet hat. Sätze wie „Am liebsten kauft man EM.TV oder Intershop, also Aktien, bei denen man weiß, dass die Chefs selbst vollwertige Mitglieder der eigenen Generation sind – also profitträchtig“ entfalten erst nach Jahren und diversen Neue-Markt-Crashs ihr wahres Bouquet. Bevor ich den inneren Sinn dieses Buches verstanden hatte, hatte ich es, jetzt kann ich das ja zugeben, noch mit klammheimlicher Genugtuung registriert, dass die Frankfurter Allgemeine als erste Reaktion auf den Absturz der Online-, Nemax- und Medienhysterie die Berliner Seiten ihrer Zeitung eingestampft hatte – die von Illies verantwortet wurden. Doch auch dafür hatte der vorausschauende Autor schon die passende Lösung parat: „Und bevor die Empörung kommen könnte, haben wir immer noch die weiten Arme der Ironie. Wenn man alles in Gänsefüßchen denkt, ist alles akzeptabel.“

Fragen zur Provinz? kolumne@taz.de