palastrevolte : Im Griff der Gummigondolieri
War das wieder schön, am Wochenende im Volkspalast. Etwa 300.000 Liter Wasser hatten sich, gut unterrichteten Quellen zufolge, in sein Erdgeschoss ergossen und zu venezianischen Kanälen verbunden. An deren Ufern standen ebenso tiefsinnig gemeinte wie künstlerisch wertvolle Kulissen.
Nach erfolgreichem Absolvieren einer nicht unerheblichen Warteschlange hatte man in freudiger Erwartung ein Schlauchboot bestiegen und war von gummibestiefelten Schlauchbootgondolieri durch die Kunstlandschaft gezogen worden.
Manchmal durfte man aussteigen. Zum Beispiel um in der Akademie der Fassadenrepublik über Fassaden zu debattieren oder sich im Rotlichtbezirk von Jünglingen in erotischer Tenniskluft verwöhnen zu lassen. Sogar modisches Sushiangeln wurde geboten, allerdings ohne Erfolgsgarantie.
Und trotzdem hätte alles noch viel schöner sein können. Wenn zum Beispiel die Gondolieri statt Gummistiefeln FDJ-Uniformen getragen hätten und statt eines mühselig in der Gondelschule erlernten „O Sole Mio“ klassisches Liedgut der Arbeiterklasse intoniert, Eisler-Songs oder wenigstens die DDR-Hymne geschmettert hätten.
Auch auf den Fassaden hätte man glorreiche Momente aus der Geschichte der untergegangenen Republik vielleicht noch begeisterter bestaunt. Denn langsam verdichtet sich ja der Verdacht, dass die DDR nicht nur das bessere, weil antifaschistische Deutschland, sondern auch die coolere der beiden Nachkriegsrepubliken war. Um zu demonstrieren, wie gründlich er mit der Geschichte aufräumen wollte, hat DDR-Gründervater Ulbricht schließlich schon das Stadtschloss gesprengt.
Dabei sind es nicht unbedingt die ehemaligen Bewohner der DDR, die ihrem kleinen Land diesen Nachruhm bescheren, sondern die Westler, die sich posthum als die allerbegeistertsten Ex-DDR-Bürger erweisen, wie nichtrepräsentative Umfragen unter Besuchern ziemlich eindeutig ergeben.
Echte DDR-Bürger, besonders solche, die den Palast noch in Funktion erlebten, kommen hierher eher wie zu einer alten Verwandten gereist, die man vor ihrem Tod noch einmal sehen will. Andächtig bestaunen dagegen junge Westler am Bücherstand die Bildbände mit DDR-Architektur, schwärmen von der Innenarchitektur des Palastes der Republik, die auf so wunderbare Weise mit ihren Ansprüchen an die Einrichtung angesagter Clubs korrespondierte.
Und nach nur drei Wochen Volkspalast kann man zwei Thesen in den Raum stellen. These eins: Der enorme Andrang auf die Veranstaltungen ist sicheres Indiz für einen bestehenden Hunger in der Stadt nach Ausfüllung dieser Leerstelle in der Mitte Berlins, dem die Politik irgendwann Rechnung tragen muss. These zwei: Am Ende der Volkspalast-Zwischennutzung ist das Gebäude von den Kunst- und Kulturprojekten so gründlich von jeglicher früheren Bedeutung gereinigt worden, dass es dann wirklich reif für den Abriss ist.
Auf dem Programm steht diese Woche: immer noch die Fassadenrepublik. Ab Mittwoch gibt es eine Installation der Schweizer Künstlerin Penelope Wehrli „Heute Mittag sitzt er nicht in Beijing“, der ein Romanstoff von Michael Roes zugrunde liegt. Drei Filme werden auf mehreren Ebenen zu sehen sein. Ein Sound-Live-Feed von Sam Auinger sorgt für verdichtetes Stadtraumgefühl, während der skelettierte Palast zum Interface zwischen Fiktion und Wirklichkeit werden soll. ESTHER SLEVOGT
Volkspalast: „Heute Mittag sitzt er nicht in Beijing“, Hörraum mit Filmspuren. Mittwoch ab 20 Uhr