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Archiv-Artikel

palastrevolte Die Suche nach dem Standpunkt

Heute ist nichts los an der Bedeutungsbörse um den Palast der Republik. Niemand in Sicht, der aktuell die aufgeladene Leere dieses Ortes für seine Bedeutungshoheitsansprüche oder Ähnliches geltend machen will, wie in den Tagen unmittelbar nach der Volkspalasteröffnung. Es ist still. Fast unheimlich still. Müssen wir uns Sorgen machen, dass jetzt der Alltag einkehrt? Oder haben die Vampire des Zeitgeists den Ort schon ausgesogen? Schon werden die Volkspalast-Seiten im Internet nicht mehr prompt aktualisiert. Sieht es dort also bald so aus, wie im Dokumentationspavillon des Schlossfördervereins am Schlossplatzrand, wo unterm spitzen Dach im Neonlicht gigantische Spinnen auf Beute lauern und vereinzelt sich hierher verirrende Volkspalast-Besucher (und -Besucherinnen) immer wieder kreischend das Weite suchen? Unbejubelt blieb letzte Woche sogar die überraschende Meldung, dass der Palast der Republik wegen eine Ausschreibungsfehlers nun doch nicht so schnell wie geplant abgerissen werden kann.

Zwar traf man vor Penelope Wehrlis Hör- und Sehinstallation „Heute Mittag sitzt er nicht im Beijing“ noch immer auf vereinzelten Bedeutungstourismus. Eine Dame träumte im Gespräch von einem Ausflug in die Berliner Kanalisation und fand es nur dort spannender als im ausgeweideten Symbol des Arbeiter- und Bauernstaates.

Die vielschichtige Performance schlug dann aber doch mehr Zuschauer in die Flucht, als sie mit ihrer vielschichtigen Erzählung zu fesseln imstande war. Denn sie zeigte dem Ort selbst die kalte Schulter, was ja an sich ziemlich mutig war. Nur dass Größe und Bedeutung des Ortes dann doch wie Mehltau auf dem Abend lagen. Als Zuschauer wurde man mehr und mehr in eine etwas altklug daher kommende Cross-Gender-Geschichte verwickelt, in ein Geflecht von Erzählspuren und Deutungsmöglichkeiten. Die aufgestellten Videoprojektionsflächen fügen sich zwar ästhetisch sehr schön ins morbide Bild. Im Schatten der Bilder sah man die Zuschauer mobile Anglerhocker von Ort zu Ort tragen – immer auf der Suche nach dem idealen Standpunkt, von dem aus die simultan aus drei Perspektiven erzählte Geschichte am besten zu verfolgen war. Doch so richtig konnte das keinem gelingen. Viele zogen lange vor Ablauf der drei Stunden, die der Abend dauerte, achselzuckend davon. Fred Rubins Palastbar blieb ebenfalls weitgehend unkonsultiert, und ein Hauch Öde breitete sich aus.

Doch diese Woche kann wieder alles anders werden. Und vielleicht erleben die Palastwerte an der Bedeutungsbörse dann eine neue Hausse. Denn jetzt kommt Sasha Waltz mit ihren Tänzern, erprobte Dialogpartnerin komplizierter Räume und Topografien, was man spätestens seit ihrer choreografischen Erkundung von Daniel Libeskinds Jüdischem Museum weiß. „Dialog 04“ heißt ihre Palastvariation eines Projekts, das eine Auseinandersetzung von Tanz, Architektur und Musik versucht.

Im Vorfeld startet der slowakische Künstler und Musiker Boris Ondreicka sein Projekt „Being the Future“, wo Kunst, Wissenschaft und Politik aus den Sechziger- und Siebzigerjahren in Form von Arbeiten der Konzeptkünstler Jirin Kovanda und Stano Filko auf gegenwärtige Betrachter stoßen. Erhofft wird von dieser Begegnung eine zukunftsbestimmende Diskussion der Vergangenheit. Vielleicht fällt ja auch für den Palast der Republik was davon ab. ESTHER SLEVOGT

„Being the future“: Eröffnung heute 20 Uhr. Ausstellung 14. + 15. sowie 18. bis 20. 9.; „Dialog 04“: 17. bis 19. 9 ., 20 Uhr. Weitere Infos: www.volkspalast.com