palastrevolte : Das große Glück, mal mitzumachen
Natürlich sah sie fantastisch aus, die gleißend grüne Wiese, die fußballfeldgroß die nackten Pfeiler im Palast der Republik noch rostiger und die Leere drumherum noch abgründiger wirken ließ. Schattenboxende, kurzbehoste Tänzer weckten bald flüchtige Assoziationen an unbedarfte Weltjugendspiele vor dreißig Jahren, als sich auch die DDR einmal in Schwerelosigkeit übte und ihr Untergang noch nicht absehbar war.
Natürlich machten die gewaltigen Klangwellen des Zeitkratzer Ensembles bald klar, dass die Idylle eine bedrohte ist. Bald warfen sich auch die Tänzer zuckend zu Boden. Von echtem Optimismus konnte also keine Rede sein. Später, als man mit den Sasha Waltz’ Tänzern die Palastruine durchwandert und als berauschend nihilistisches Szenario genossen hatte, war man dann selbst zum Teil eines Bildes geworden.
Ein sanft lächelnder junger Mann, nämlich der amerikanisch-koreanische Künstler Brad Hwang Sung-Uk, verteilte ein echt deutsches Linsengericht – wahlweise mit oder ohne Wursteinlage. Das Premierenvolk hatte sich zu diesem Zweck an zwei sehr langen Tischen zum ikonografischen Abendmahlbild gruppiert und bald hatte fast jeder an seinem Platz eine unterhalb der Tischplatte montierte kleine Kurbel entdeckt, die bei jeder Umdrehung eine Nylonseite in Schwingung versetzte. Der Ton der Schwingung schwoll schnell zu einem unheimlichen Geräusch an, während parallel die Gesichter der spielenden Palastbesucher immer kindischere Züge bekamen. Groß schien das Glück, auch mal ein bisschen mitmachen zu dürfen. So ganz geheuer war das Bild dieser besinnungslosen Glückseligkeit trotzdem nicht.
In dieser Woche sind jetzt die zum coolen Partydiskurs gestylten Sozialwissenschaften dran. Das aus Architekten, Künstlern und Wissenschaftlern interdisziplinär zusammengesetzte Projekt „Shrinking Cities“ befasst sich mit dem Phänomen verödender Städte auf der Welt. Um Kostgänger von Kultur und Feuilleton nicht zu überfordern, konzentriert man sich im Volkspalast auf das Musikthema.
Ab Donnerstag gibt es also Vorträge und Diskussionen zur Frage, wie in Zeiten urbaner Krise entstandene Musikkulturen (von Punk bis Techno) Einfluss auf die Stadtentwicklung hatten. Vorträge befassen sich unter anderem mit den schrumpfenden Städten Halle und Leipzig. Es gibt eine Filmlounge und jede Menge Vorträge mit so groovenden Überschriften wie „Reinventing the City through Music“.
Natürlich gibt auch viel Musik, mit Künstlern von Glasgow bis St. Petersburg. Die Crème der europäischen Poptheorie wird sich ebenfalls die Ehre geben. Am Montag öffnet dann der Kiosk für nützliches Wissen als Versuchsanordnung zur Erinnerung an die Stadt.
Das klingt alles schön und sieht erfahrungsgemäß dann immer noch schöner aus. Manchmal wird man aber trotz allem das Gefühl nicht los, dass die schicken Diskurse ihren Bezug zur Wirklichkeit nur noch simulieren. Dass die Wirklichkeit eine Veranstaltung ist, die darin in ihrer banalen Scheußlichkeit schon längst nicht mehr geduldet und deswegen von solchen Diskursen auch immer weniger zu gestalten ist. Aber auch ein Kolumnist kann sich irren. ESTHER SLEVOGT
„Republik Rebooted. Hartz V – Sex, Lügen und Berliner Ökonomie“, Mittwoch, 22 Uhr; „Shrinking Cities Music“, von Donnerstag bis Samstag, jeweils ab 19 Uhr, Konzertbeginn 22 Uhr; „Le Bal Moderne – Der Palast tanzt“, Sonntag, 18 Uhr; „Kiosk für nützliches Wissen“, Montag, 20 Uhr. Weitere Programminfos unter www.volkspalast.com