ortstermin : Biergläser und graue Polyester-Anzüge
In der Reihe „Ortstermin“ besuchen AutorInnen der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms
Es riecht gutbürgerlich nach Bratkartoffeln mit Speck, Spiegelei auf Leberkäse und Bier. Zigarettenqualm fehlt. Die Bodega Nagel gegenüber des Hamburger Hauptbahnhofs ist rauchfreie Zone. Dass die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative, kurz: „Die PARTEI“, hier ihrem Spitzenkandidaten für die Bürgerschaftswahl Heinz Strunk huldigt, verwundert. Waren da nicht diese Wahlkampfplakate? Die mit der lasziv rauchenden Frau und dem Slogan: „Niemand hat die Absicht, das Rauchen zu erlauben. Außer uns“?
Zumindestens vor der Tür versuchen einige PARTEI-Mitglieder dem Slogan Authentizität einzuhauchen. Alexander Grupe – stämmig, Glatze und Spitzbart – klärt auf. Es wäre ihm auch erst heute aufgefallen, dass hier rauchfrei sei, sagt der Hamburger Landesvorsitzende, aber die urig dunkle Atmosphäre sei perfekt für den Wahlkampfspot. Unter dem gemauerten Türbogen des Bierrestaurants begrüßt der Chefstratege der Partei, Martin Sonneborn, die zugereisten Mitglieder mit einem soliden Handschlag. Bei dem gebürtigen Göttinger mit der Mine aus Stahl verrät nur der leicht nach oben gezogene rechte Mundwinkel die Freude, die ihm eine solche Veranstaltung macht.
„Keine Fotos. Ich habe den PARTEI-Anzug ja nicht an“, sagt Sonneborn kühl. Statt des C&A-Polyesterzweiteilers trägt er eine einfallsreiche Kombination aus Jeanshemd und Jeanshose. Ein Foto von Sonneborn in Ganzkörperjeans wäre nicht nur exklusiv, sondern auch extrem bürgernah gewesen, aber der Bundesvorsitzende lässt nicht mit sich diskutieren: „Ich will nicht bürgernah sein.“
Zwei Bier später haben die Kamerateams in der 1848 eröffneten Schankwirtschaft endlich ihre Positionen eingenommen. An Sonneborn, der mittlerweile einen Anzug trägt und Strunk, der ohne gar nicht erst aufgetaucht ist, wird noch einmal Hand angelegt. Profis wie sie sind daran gewöhnt. Eine Frau mit praktischem Kurzhaarschnitt zerrt und knöpft, um die Steckmikrofone richtig zu platzieren.
Drei Niederbayern, die sich mit ein paar Bier eigentlich auf das Schlafabteil im Nachtzug nach München vorbereiten wollten, finden langsam gefallen an der „Mordsgaudi“. Eine junge Frau im schwarz-weiß gestreiften Wollpulli telefoniert mit ihrer „Mutti“: „Was los ist? Hier ist irgendwie so eine Parteiveranstaltung. So ’ne Witzpartei, oder so. Ja, ja wie die Schill-Partei.“ Einige Parteiangehörige unterhalten sich über den Tragekomfort ihrer 39 Euro-Anzüge und zweifeln an Strunks Glaubwürdigkeit. Der Spitzenkandidat trägt eine goldene Uhr und sein Anzug ist nicht grau, sondern schwarz. Sieht teuer aus. Bevor er seine energetische Rede hält, trinkt er zwei Piccolo Mumm. THOMAS EWALD