ortstermin: bremen sucht den broadway-star : Kopf ab und durch
„Was hast du uns Schönes mitgebracht, liebe Isabell?“ Isabell steht auf der Bühne des Theaters am Bremer Richtweg und möchte gern Musicalstar werden. Sylvester Levay sitzt in der dritten Reihe, zusammen mit sieben anderen wichtigen Leuten, und hat die Frage nach dem schönen Mitbringsel heute schon ziemlich oft gestellt. Schließlich wollen 900 BewerberInnen aus aller Welt eine Rolle in seiner „Marie Antoinette“.
Isabell soll jetzt mal ein Stück aus dem Guillotinen-Spektakel singen. „Ich hab’ die Noten ja erst in der Nacht gekriegt“, gibt die junge Frau zu bedenken, ob denn der Anfang reichen würde? „Dann machen wir die ersten drei Seiten, die machen wir ganz supergut“, sagt Levay, ein altgedientes Schlachtross der Musicalszene, und los geht’s: „Ja in der Modebranche“, trällert Isabell, „aber das geht mehr so datata, dada, tatat“, mischt sich Levay ein. „Triolisierend“, sagt er, meint punktiert, und beendet die Audition mit einem freundlich-bestimmten „Sehr schön, Isabell. Ganz suppa.“
250 KandidatInnnen sind in den „Finals“ und dürfen im Zehn-Minuten-Takt ihre Qualitäten demonstrieren. Die 900 AspirantInnen der Erstrunde hatten nur fünf Minuten Zeit, nichtsdestotrotz sind sie bis aus Stockholm, Ungarn und Wien angereist. Julia hingegen kommt aus Bremen. Sie singt jetzt „Jemand wie Du“ aus „Jekyll & Hyde“, schließlich ist das Musical Theater vor zehn Jahren damit auch eröffnet worden.
Leider war dem ehemaligen Zentralbad, dessen Umbau-Darlehen die Stadt noch bis 2018 abstottern muss, bislang kein durchschlagender Erfolg vergönnt. Aber nun hat Hans Joachim Frey selbst die Sache in die Hand genommen. Er ist Generalintendant des Bremer Theaters, unterstützt von privaten Geldgebern will er ein wirklich großes Ding machen: „ein Musical mit Broadway-Anspruch“.
Ob Julia dabei helfen kann? Die Herren tuscheln. „Haben Sie auch was aus MA dabei?“, fragt Frey dann, ganz lässiger Musical-Manager, aber Julia hat „die Mail von gestern nacht zu spät gelesen“. Trotzdem darf sie zur Tanzprobe weiter. Auf dem großen Tisch der unermüdlich arbeitenden Casting-Crew sieht es aus, wie es auf dem Tisch einer unermüdlich arbeitenden Casting-Crew aussehen muss: angebissene Brötchen, Laptops mit komplex aussehenden Ablaufplänen, eine Maxi-Packung süßer Gummitierchen. Nein, das sind keine Motivationshäppchen für die aufgeregten KandidatInnen – nur das freundliche „suppa, danke“, das kriegen alle.
Wer hat das letzte Auswahl-Wort? „Die Autoren“, sagt Frey. Texter Michael Kunze sitzt allerdings gar nicht mit am Tisch, dafür ist Regisseur Tamiya Kuriyama angereist. „Das ist der Peymann von Japan“, erklärt Frey, manchmal nennt er ihn auch den „japanischen Peter Zadek“. Am künstlerischen Potential soll’s jedenfalls nicht mangeln. Premiere ist im Januar. HENNING BLEYL