ortstermin: beim speeddating im „flirt-express“ : Wenn die Bahn kuppelt
In der Reihe „Ortstermin“ besuchen AutorInnen der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms
Es ist wieder richtig kalt geworden an diesem Valentinstag. Eine geschlagene Stunde stehen die Fahrgäste des „Flirt-Express“ schon an Gleis 2 des S-Bahnhofs und warten, dass es endlich losgeht. Jana und Theresa sind 34 und 28 Jahre alt und haben bereits Singlebörsenerfahrung aus dem Internet – Speeddating aber haben sie noch nie gemacht. Heute sind sie nur aus Spaß und Neugierde dabei, außerdem gibt es Freisekt für alle – tatsächlich ihren Traummann in der S-Bahn kennen zu lernen, damit rechnen sie jedoch nicht.
Mario ist auch 34 und hat keine Zähne. Nicht ohne Stolz erzählt er, die Teilnahme bei einem örtlichen Privat-Radiosender gewonnen zu haben. Allerdings ist ihm bis fünf Minuten vor Abfahrt nicht klar, worum es sich bei Speeddating überhaupt handelt: Ebenso viele Männer wie Frauen werden sich in dem Sonderzug der Hamburger S-Bahn gegenübersitzen und fünf Minuten Zeit haben, sich zu unterhalten. Dann rücken die Männer eine Frau weiter und das Spiel beginnt von vorn. Bis jede mit jedem gesprochen hat. „Ach tho“, lispelt Mario.
Zu diesem Zeitpunkt haben Jana und Theresa schon das Weite gesucht. Von 60 Angemeldeten sind nur 40 überhaupt erschienen, und auch davon hat die Hälfte auf dem Absatz kehrt gemacht. Deutschlandweit hat es nach Angaben der Bahn satte 5.000 Anmeldungen gegeben – leider, leider habe man für die 800 Plätze aber penibel aussortieren müssen. In Hamburg ist unter anderem diese zwanghaft kichernde Frau übrig geblieben, mit Körpermaßen, dass manchem das Lachen vergehen würde. Und ein Mann, dessen Gesicht weiß glänzt wie das einer Geisha. Bei näherem Hinsehen wird klar, dass es vermutlich Penaten-Creme ist, die partout nicht einziehen möchte.
Um kurz nach sieben steigen die 20 Übriggebliebenen ein – gemeinsam mit einer Handvoll Journalisten und einem Cateringteam der Deutschen Bahn. Damit niemand noch in letzter Minute ahnungslos durch die sich schließenden Türen springt, wurde die S-Bahn mit Luftballons und roten Herzchen an den Fenstern stigmatisiert. „Komm hol das Lasso raus,“ quäkt es aus großen Lautsprechern auf den hintersten Sitzbänken, „wir spielen Cowboy und Indianer!“ Und ab geht die Fahrt. „Viel Spaß im Flirt-Express von Die Bahn!“ hallt es durch die Wagons, und wie zur Sicherheit ist den Teilnehmern da bereits reichlich Sekt eingeschenkt worden.
Die gesamte Fahrt hindurch wird Moderator Ingo uns mit seiner heiteren Bauernschläue bespaßen. Und natürlich, so lässt er wissen, drücke er jedem feste die Daumen. „Vielleicht finden die Damen ja heute den Mann fürs Leben oder die Herren eine Frau für dies und jenes.“ Dann versucht Ingo sich an einem Interview mit unserem Fahrer: „Na Herbert, hast du eigentlich schon mal einen Flirt-Express gefahren?“ – „Äh, nein, noch nie.“ – „Natürlich nicht meine Damen und Herren! Denn heute fährt der erste Flirt-Express überhaupt und das in 15 Städten Deutschlands!“
Dann geht es endlich los mit dem so genannten Flirten. Mario ist ganz entzückt von seinem Gegenüber Cristina: 22, bildhübsche Kolumbianerin. „Ich bin verheiratet“, erklärt sie dem jungen Mann gegenüber. „Ich mach das hier nur zum Spaß.“ Und dann ist es auch schon soweit: „Die Drei! Die Zwei! Die Eins!“, ruft Ingo. „Und wechseln!“ Und Mario zieht weiter.
Ingo zufolge hat die Bahn sich das so schön ausgemalt: Man kommuniziere doch so wenig im Zug, das müsse man doch ändern. Offen gestanden: Ich trage manchmal in der Bahn Kopfhörer, ohne etwas zu hören, um mir nichts über die Krankheiten der Oma neben mir erzählen lassen zu müssen. Aber solche Eigenbrötlerei muss ja nicht der Status Quo sein.
Als nächstes bekommt Cristina jetzt Besuch vom, na, nennen wir ihn mal den Werbekokser. Er erzählt jeder Frau in den ersten 20 Sekunden, dass er in der Werbung arbeite, dass das in seinem Office ein ziemlich abgefahrenes Business sei. Und zieht dabei permanent die Nase hoch. Bis zum Ende der ersten Halbzeit unserer Fahrt in Aumühle hat er es sich bei allen Frauen in seinem Waggon verscherzt. Aber da gibt es ja noch vier junge Journalistinnen, zu denen er sich gesellen kann. „Boah ey, das sind ja nur Schabracken hier, was macht ihr denn später noch so?“ Von uns hat aber auch niemand Lust, und er zieht genervt ab – aufs Klo. Die ständig kichernde Frau krallt sich derweil einen Praktikanten, der für irgendeinen Radiosender Bericht erstatten soll. Er ist 20 und weiß nicht so genau, wie ihm geschieht, als sie ihn zwischen ihre Brüste knuddelt und ruft: „Das ist doch ein Süßer Mädels, der gehört mir.“
Flucht ist übrigens nicht möglich: Die Türen bleiben bei jedem Halt geschlossen und wir schämen uns ein bisschen, wenn die Leute in Altona, am Jungfernstieg und am Hauptbahnhof durch die Fenster herein starren. Nach drei Stunden werden wir mit gebrochenem Stolz aus der Bahn gespuckt: Am Bahnhof Hasselbrook. Jegliche Bitten, die Türen doch an einer zentraler gelegenen Haltestelle zu öffnen, werden abgewiesen: Bedaure, geht nicht, technische Gründe. Es gibt Sekten, die ihre Mitglieder weniger aggressiv in Schach halten.
In Hasselbrook haben wir die Wahl: Freibier in einer nahe gelegenen Kneipe oder, draußen in der Kälte, auf die Bahn zurückwarten. Was soll’s. Die zehn Euro haben die Flirt-Express-Fahrgäste schon lange raus: durch Sekt, Salzstangen und rosa Donuts. Es ist wie eine Kaffeefahrt, bei der statt überflüssiger Haushaltsgegenstände das Super-Image der Deutschen Bahn an den Mann gebracht wird. Okay, sie ist meistens zu spät und knechtet ihre Lokführer, die Bahn – aber all you need is ja nur love. JESSICA RICCÒ