ortstermin: angela merkel nimmt sich zeit für das südoldenburger land : Keine Polemik im Putenmastgürtel
In der Reihe „Ortstermin“ besuchen AutorInnen der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms
Das Cloppenburger Land ist eine Region der Superlative: Nirgends in Deutschland werden mehr Kinder in die Welt gesetzt, nirgends in der Welt mehr Tiere auf einem Hektar gehalten – und wohl überhaupt nirgendwo wählen mehr Menschen die CDU. Das ist der Grund, warum selbst die BundeskanzlerInnen jener Partei vor wichtigen Wahlen traditionell das westniedersächsische Städtchen aufsuchen, in dem es doch nur eine handvoll Stimmen zu gewinnen gibt. Und so kam am Mittwochabend Angela Merkel, als Wahlkampfhelferin von CDU-Spitzenkandidat Christian Wulff, in die Cloppenburger Stadthalle. 1.500 Menschen werden hinein gelassen, noch viel mehr müssen draußen bleiben. Cloppenburg ist nicht auf Großveranstaltungen eingerichtet.
Ein älterer Herr steht im Gang neben der Bühne und erzählt einen Witz: „Wenn man hier in der Gegend einen Besen in den Boden steckt und den schwarz anmalt, dann wird der auch gewählt.“ Ist Merkels Auftritt da nicht Zeitverschwendung? „Abwarten“, meint seine Frau, die mit ihren raspelkurzen Haaren eher einer altgedienten Frauenrechtlerin ähnelt, als der Funktionärin der Senioren-Union, die sie ist. Abwarten? „Der Wulff ist ein total netter Kerl. Aber dass seine neue Freundin schon vor seiner Scheidung ein Kind kriegt – viele Leute haben hier gesagt: Wie soll ich denn bei solchen Zuständen noch die CDU wählen?“, erläutert ihr Mann. Doch wer im Saal herumfragt, ob es eine bedenkenswerte Option wäre, Wulff ob seiner Promiskuität abzustrafen und den für sein solides Familienleben bekannten SPDler Jüttner zu wählen, der macht sich nicht beliebt. Wulff selbst ist nicht erschienen, am Abend steht die TV-Debatte mit Jüttner an.
Der Dirigent der Blaskapelle ist verschnupft. „Wir dürfen das Deutschlandlied nicht spielen“, klagt er. Die Wahlkampfzentrale hat verfügt, dass die Hymne vom Band eingespielt wird. „Die denken wohl, wir können das nicht.“ Eine Partei- – wie sagt man -genossin? – beschwichtigt ihn: „Da sind bestimmt schon mal dicke Klopper passiert.“
Das kann niemand wollen, auch nicht Clemens große Macke. So heißt der örtliche Landtagsabgeordnete, und trotzdem hat er vor vier Jahren das beste Wahlergebnis im Land erzielt. Das verschafft, wie er dankbar berichtet, in Hannover „einen gewissen Respekt“. Es ist von der Entsandung des Barßeler Tiefs die Rede und von der Umgestaltung des Ahlhorner Fliegerhorstes, aber das will niemand hören. Die Leute sind gespannt auf Merkel.
Wo in den Festzelten der CSU Alkoholdelirien und politische Brachialrhetorik angesagt sind, herrscht im Land der Putenmastanstalten norddeutsche Nüchternheit. „Die SPD kann nicht mit Geld umgehen“, „Die Linkspartei – das sind doch abenteuerliche Gestalten“, in der Preisklasse verbleibt Merkels Polemik. Damit kommt sie gut an, denn es wirkt immerhin authentisch. Die Leute lachen an den Stellen ihrer Rede, die wohl dazu gedacht sind. Ihre Lästerei über die ehemalige grüne Verbraucherschutzministerin Renate Künast kommt im Intensivlandwirtschaftsgürtel sogar ganz ohne Begründung aus, die Leute verdrehen bei der bloßen Erwähnung des Namens die Augen. Doch Merkel lobt auch: „Die Forschung hier im Norden ist Spitze, darauf können wir stolz sein. Stade, Braunschweig, Göttingen, das sind Spitzen-Standorte.“ Zwar sind diese Städte alle mehrere Autostunden voneinader entfernt, aber das macht nichts, die Leute nicken. Dann das Band mit dem Deutschlandlied, und die Kanzlerin entschwindet zu ihrem Hubschrauber. Die Blaskapelle stimmt das Lied „Heil dir O Oldenburg“ an. Die Wahlkampfzentrale hat keine Einwände. CHRISTIAN JAKOB