ortstermin: Box-Weltmeisterin Susi Kentikian wird eingebürgert : Der passende Pass
Kurz bevor die Stargäste im Empfangszimmer des Hamburger Senats eintreffen, gibt’s noch letzte Verhandlungen um die Kamerapositionen. „Wir stellen die Stühle auch selbst wieder hin, vor dem Kamin ist die Optik doch viel besser“, sagt einer der zahlreichen Fotografen. Aber die Rathausmitarbeiterin, die diesen Pressetermin betreut, bleibt resolut. Bevor weitere Widersprüche möglich sind, schnellt auch schon Hamburgs Sportsenatorin Karin von Welck mit ihren Besuchern herein – und sie weiß sowieso genau, wo sie hin will. Zielgenau und routiniert führt sie die Ehrengäste am Kamin vorbei, versammelt sie in der Ecke vor der Wandvertäfelung und beginnt in das Blitzlichtgewitter hinein mit ihrer Ansprache, ohne einen Augenblick zu verschnaufen.
Es ist nicht einfach, durch die Fotografen hindurch endlich einen Blick auf die Hauptperson des Tages zu werfen. Unter dem wuchtigen Kronleuchter, hinter den schweren Lederstühlen wirkt Susi Kentikian noch etwas zierlicher als sonst. Kentikian stammt aus Armenien, sollte nach ihrer Flucht nach Hamburg wieder abgeschoben werden und ist mittlerweile Boxweltmeisterin im Fliegengewicht und Hamburgs Sportlerin des Jahres. Im eleganten schwarzen Kleid hält sie stolz die Einbürgerungsurkunde hoch, die ihr die Senatorin gerade überreicht hat. 155 leuchtende Zentimeter – und das soll die Boxerin sein, die wegen ihres aggressiven Kampfstils „Killer Queen“ genannt wird?
Als die Senatorin vom schweren Weg bis zum heutigen Ereignis redet, nickt ein Mann zustimmend, der in seinem karierten Freizeithemd ein wenig aus der Festgesellschaft heraus fällt. Frank Rieth vom Sportclub Agon entdeckte als erster das Boxtalent von Susi Kentikian, als sie 1996 mit ihrer vierköpfigen Familie als Flüchtling aus Armenien in einer ehemaligen Schule in Hamburg-Langenhorn landete. Nun zieht der lange Weg, den die beiden seitdem zusammen gegangen sind, noch mal an ihm vorbei. Besonders denkt er an einen Morgen im Jahr 2001. „Um sechs klingelte das Telefon, und Susi war mit Tränen erstickter Stimme dran, man hatte sie gerade abgeholt, um 13 Uhr sollte der Flieger gehen“, erzählt er, während die Gläser zum Anstoßen verteilt werden. Am Ende dieses Tages hatte er die halbe Stadt mobilisiert und die Familie Kentikian aus der Abschiebehaft am Flughafen Fuhlsbüttel herausgeholt.
„Der einzige Politiker, der uns unterstützt hat war Wolfhard Ploog“, zeigt Rieth auf einen graumelierten älteren Herrn, der alleine im Raum steht und an seinem Saft-Glas nippt. „Und der kommt von der CDU.“ Richtig in Rage gerät Rieth aber, als er auf die vielen Jugendlichen zu sprechen kommt, aus Afghanistan, Tschetschenien oder anderen Krisenregionen der Welt, die heute in der Situation sind, der Susi Kentikian jetzt endgültig entronnen ist.
Wie zum Beleg zeigt er auf zwei Personen, die er mitgebracht hat und die sich ganz an den äußersten Rand des Saales gedrückt haben. „Das ist Ibrahim Bazuev mit seinem Vater. Er ist vierzehn Jahre alt und gerade deutscher Jugendmeister geworden. Seit 13 Jahren lebt er in Deutschland und hat immer noch keine Aufenthaltsgenehmigung, sondern wird nur geduldet.“ In diesem Moment kommt Wolfhard Ploog vorbei – Frank Rieth nutzt die Chance und nimmt ihn mit in die Ecke der beiden Bürgerkriegsflüchtlinge. Er will Ploog, der inzwischen Vorsitzender des Eingabeausschusses der Bürgerschaft ist, auch in diesem Fall um Hilfe bitten.
„Ja, ich nehme am Schicksal dieser Menschen starken Anteil“, sagt Susi Kentikian, als Kameras und Mikros eingepackt und die Zeitungskollegen mit ihren Fragen an der Reihe sind. „Es ist wichtig, dass Frank sich um sie kümmert. Ohne ihn hätte ich das alles nicht geschafft. Und ohne den Sport hätte es auch noch länger gedauert.“ Jetzt freue sie sich erstmal auf ihre Titelverteidigung ihrer beiden WM-Titel am kommenden Freitag in Düsseldorf, sagt die für den Hamburger Spotlight-Boxstall antretende Sportlerin. „Dann habe ich zur deutschen Hymne endlich auch den richtigen Pass in der Tasche.“
RALF LORENZEN