off-kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Als „Harold und Maude“ 1971 die amerikanischen Lichtspieltheater erreichte, erwies sich Hal Ashbys ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen einem Zwanzigjährigen und einer Achtzigjährigen zunächst als Flop. Kaum verwunderlich: Eine sanft anarchische Komödie, in der materieller Wohlstand als Ursache völligen geistigen Leerlaufs präsentiert wird, konnte einer Gesellschaft, die sich gerade den reaktionären Republikaner Richard Nixon zum Präsidenten gewählt hatte, nicht gefallen. Denn über eine Liebesgeschichte geht „Harold und Maude“ weit hinaus: Der Film ist gleichermaßen Gesellschaftssatire, Initiationsgeschichte und schwarze Komödie, eine Gratwanderung zwischen Privatem und Politischem. Harold (Bud Cort), der junge Mann aus reichem Hause, kommt steif, unbeholfen und mit eingefrorenen Gesichtszügen daher, von seinem stets korrekten Anzug ebenso eingeengt wie von den gesellschaftlichen Konventionen. Vergeblich versucht er immer wieder, seine dümmlich vor sich hin plappernde Mutter mit makabren Selbstmordinszenierungen zu einer Reaktion zu veranlassen. Die achtzigjährige Maude (Ruth Gordon) ist das genaue Gegenteil Harolds: Sie schreitet forsch und dynamisch durchs Leben, ist immer in Bewegung. Harolds Bekehrung zum Leben hin beginnt, als es Maude gelingt, ihn wortwörtlich in Bewegung zu setzen: Sie ermutigt ihn, zu singen und zu tanzen, schenkt ihm ein Banjo und fordert ihn auf, Purzelbäume zu schlagen. Als Maude ihrem Leben schließlich selbstbestimmt ein Ende setzt, hat Harold dazu gelernt: Er spielt ein wenig auf seinem Banjo.***Freundschaft und Loyalität sind die Werte, die in Jean-Pierre Melvilles stilisierten Unterweltgeschichten mit ihren mythisch überhöhten Gangsterfiguren am meisten zählen, doch immer wieder künden die Filme von deren Unmöglichkeit und Scheitern. Im Mittelpunkt von „Le Doulos“ („Der Teufel mit der weißen Weste“, 1962) steht die Freundschaft der beiden Gangster Silien (Jean-Paul Belmondo) und Maurice (Serge Reggiani) – doch Silien ist eine absolut undurchsichtige Figur (Melville zeigt ihn bei seinem ersten Auftritt als Silhouette im Gegenlicht) und wird von Maurices Freunden als Spitzel verdächtigt. Nachdem er offensichtlich verpfiffen wurde, glaubt dies schließlich auch Maurice selbst. Als sich der vermeintliche Verrat klärt, ist es sowohl für Silien als auch für Maurice zu spät: Der Zweifel wird sie das Leben kosten.***Im Gegensatz zu den ziemlich wortkargen Helden Melvilles erörtern die Protagonisten der Filme Eric Rohmers ihre Probleme und Befindlichkeiten gern in erklecklicher Ausführlichkeit. So auch Gaspard (Melvil Poupaud), der in „Sommer“ seine Ferien in einem kleinen Ferienort an der Atlantikküste verbringt. Mit der Ethnologiestudentin Margot (Amanda Langlet) unternimmt er lange Spaziergänge und diskutiert über die große Liebe und die kleinen Liebeleien. Dabei geht es vor allem um allerlei paradoxe Ideale und darum, sich nicht entscheiden zu können: Am Ende hat Gaspard drei Freundinnen oder auch keine, und die offensichtlichste Lösung seiner Probleme hat er übersehen.LARS PENNING