off-kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Bei seiner Erstaufführung im Jahr 1963 war „Das Schweigen“ der bis dato am heftigsten umstrittene Film Ingmar Bergmans: Kaum jemand verstand, was der schwedische Regisseur mit seinem Drama um die Hassliebe der Schwestern Esther (Ingrid Thulin) und Anna (Gunnel Lindblom) hatte ausdrücken wollen. Zudem löste der Film in vielen Ländern eine Kontroverse über die Darstellung sexueller Handlungen aus; die Spekulation des Publikums auf etwaiges indezentes Geschehen machte „Das Schweigen“ zu einem der kommerziell erfolgreichsten Bergman-Filme. Tatsächlich bleibt das Dargestellte harmlos – Inszenierung, Fotografie und Schauspiel suggerieren lediglich den Eindruck einer alles vereinnahmenden Körperlichkeit. Bereits die erste Einstellung illustriert die Unterschiede zwischen den Frauen: Während die strenge und intellektuelle Esther ein klassisches Kostüm trägt, wirkt Anna sehr viel animalischer und gibt sich träge und geradezu lasziv der Hitze hin. Esther hingegen verabscheut es, von ihrem Körper beherrscht zu werden: Sowohl ihre Lungenkrankheit, von der sie langsam zerstört wird, als auch die sexuelle Begierde empfindet sie als Demütigung. Offenbar bestand zwischen den Frauen in ihrer Jugend eine inzestuöse Beziehung, doch mittlerweile verweigert sich Anna der eifersüchtigen Schwester und quält sie mit erotischen Zufallsabenteuern. Die wachsende Entfremdung der Schwestern verdeutlicht Bergman, indem er das Geschehen immer wieder räumlich in die Tiefe inszeniert: Wenn sich etwa Anna zum Ausgehen fertig macht, bietet die geöffnete Tür zum angrenzenden Hotelzimmer einen Ausblick auf die kranke Esther in ihrem Bett – stummer Vorwurf und Überwachungsinstanz zugleich. Was genau zwischen den Frauen vorgefallen ist, bleibt vage – doch auch so ist „Das Schweigen“ eine grandiose Studie über Angst, Sprach- und Lieblosigkeit.***Mit dem Versuch, in seinem Seeabenteuerfilm „Master and Commander – Bis ans Ende der Welt“ einen möglichst genauen Eindruck vom Leben auf einem Kriegsschiff des frühen 19. Jahrhunderts zu schildern, betrat der australische Regisseur Peter Weir Neuland. Der Film beschreibt das Dasein der oftmals zum Dienst gepressten Männer an Bord des britischen Kriegsschiffs „HMS Surprise“ als ziemlich armselig: Es herrscht drangvolle Enge, das Essen ist widerwärtig, und in den Seeschlachten fegen die Kanonenkugeln mit einer nahezu physisch erfahrbaren Wucht durch die Decks und schlagen ihre blutigen Schneisen. Bei allem Realismus verliert Regisseur Weir die Abenteuergeschichte jedoch nie aus den Augen. Die technisch beeindruckenden Seeschlachten, die Verfolgungsjagden mit dem übermächtigen Gegner und die Aufnahmen eines dramatischen Sturms sind hier ebenso gelungen wie die sorgfältige Charakterisierung der Hauptfiguren aus dem zwanzigbändigen Romanzyklus von Patrick O’Brian: Während Schiffsarzt Stephen Maturin (Paul Bettany) großes Interesse für die Naturforschung entwickelt, bringt Captain Jack Aubrey (Russell Crowe) seine Mannen mit Kompetenz und charismatischen Ansprachen immer wieder auf den richtigen Kurs.LARS PENNING