off-kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Da auch mein erstes Kinoerlebnis Disneys „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ war, fand ich Jacques Demys Überlegung, Schneewittchen sei toll, weil sie auch beim Fegen und Backen noch singt, immer plausibel. Der französische Regisseur hat aus dieser Erkenntnis eine ganze Kinokarriere gebastelt: Er liebte Märchenverfilmungen und ließ seine Protagonisten in „Die Regenschirme von Cherbourg“ oder „Die Mädchen von Rochefort“ alle Dialoge singen. Demys Filme waren immer sehr musikalisch, meist sehr farbig und stets sehr persönlich. Er verstarb 1990, und so blieb es seiner Witwe, der Filmemacherin Agnès Varda, überlassen, in „Jacquot de Nantes“ die Kindheits- und Jugenderinnerungen ihres Mannes als Spielfilm auf die Leinwand zu bringen: Da geht es um seine Liebe zu Marionetten und Puppen, das Leben mit den Eltern, die stets ein Lied auf den Lippen haben, und natürlich um die Entdeckung des Kinos.
Im Leben ginge es nicht ums Geld, sondern um die Macht, die man damit über andere Leute erlangen kann, sagt Baron Arnheim (Jeroen Krabbé) einmal in Oliver Parkers flotter Verfilmung von Oscar Wildes Bühnenstück „An Ideal Husband“ und prägt damit auch das Verhalten des aufstrebenden Politikers Sir Robert Chiltern (Jeremy Northam). Der ehrgeizige Sir Robert (Wilde: „Ehrgeiz ist die letzte Zuflucht des Versagens“) steht in der viktorianischen Öffentlichkeit und vor seiner ihn anhimmelnden Gattin (Cate Blanchett) zwar als untadeliger Ehrenmann da, hat jedoch eine Leiche im Keller, die den ganzen Plot in Schwung bringt: Denn einst verscherbelte er ein Regierungsgeheimnis an Arnheim – und dummerweise gibt es von der Transaktion ein Schriftstück, mit dem er nun erpresst wird. Als Lady Chiltern davon erfährt, hängt der Haussegen schief. Tatsächlich ist die Geschichte um den dann doch nicht ganz so idealen Gatten eine geistreiche und amüsante Salonkomödie, in der es Wilde gar nicht um die Niederungen aktueller Politik, sondern um sein eigentliches Lieblingsthema ging: die Doppelmoral der viktorianischen Gesellschaft. Zudem schuf der Dichter sich mit der Figur des Hausfreundes Lord Goring (Rupert Everett) ein perfektes Alter Ego: einen zynischen Dandy, der scheinbar ausschließlich für das Vergnügen lebt und seine Zeit mit unwichtigen Dingen verplempert – Wildes Protest gegen eine Gesellschaft, die den Wert jedes Individuums nur nach seiner Nützlichkeit bemisst. Und weil sich daran bis heute nichts geändert hat, ist das 100 Jahre alte Stück absolut aktuell.
Ein Klassiker des leicht bizarren Gangsterfilms, in dem existenzialistisches Lebensgefühl, pinkfarbene Bars und traurige Balladen zusammenfinden: Seijun Suzukis „Tokyo nagaremono“ (Tokyo Drifter) aus dem Jahr 1966 zeigt eine Gruppe von überaus coolen Yakuza-Typen mit Hut und Mantel, großen Pistolen und dunklen Sonnenbrillen, die in gewaltigen Straßenkreuzern stilisierte Landschaften im Scope-Format durchmessen und dabei vollkommen vergeblich ihren Träumen von Loyalität und Freundschaft nachhängen.
Lars Penning