off-kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Sie sei nun einmal die perfekte Dienerin, meint die Hausdame Jane Wilson (Helen Mirren) in Robert Altmans auf einem feudalen englischen Landgut im Jahr 1932 spielenden Drama „Gosford Park“ (2001), denn sie erahne die Wünsche und Absichten anderer bereits im Voraus. Am Ende werden die Auswüchse britischen Klassenbewusstseins, die Unterdrückung der eigenen Wünsche und die Aufrechterhaltung der Fassade um jeden Preis zum Mord führen. Altman-typisch erzählt der Ensemblefilm keine lineare Story, sondern viele fragmentarische Geschichten, die sich schließlich zu einem Mosaik der Gesellschaft zusammensetzen: Wie ziellos durchstreift die Kamera Salons, Flure und Zimmer, fängt dabei Gesprächsfetzen (über Geld und Sex) ein und zeigt auf, dass sich der Snobismus der „feinen“ Herrschaften längst im Verhalten der Dienerschaft widerspiegelt. Der mitleidlose Blick auf seine Figuren ist charakteristisch für den amerikanischen Regisseur: Verdammt sind sie – fast – alle.
Mit seinen knapp 12 Minuten Spieldauer kann man Edwin S. Porters „The Great Train Robbery“ (1903) zwar kaum als abendfüllend bezeichnen, doch die Geschichte vom Zugüberfall und der anschließenden Verfolgungsjagd ist der vermutlich bedeutendste Beitrag zur Entwicklung der Filmsprache in den USA. Die entscheidende Neuerung bestand dabei in der Art und Weise, wie Porter die zeitlichen Abläufe organisiert. Denn obwohl alle Handlungsstränge in einer Abfolge nacheinander montiert sind, verlaufen doch einige zeitgleich. Zudem erzählt Porter elliptisch: Die Dauer des Films ist nicht identisch mit der Dauer der Handlung, vielmehr werden Teile derselben zu Gunsten einer Dynamisierung des Geschehens ausgespart. Zudem lassen sich in „The Great Train Robbery“ viele spätere Standards des Kinos erkennen wie der Wechsel zwischen Originalschauplätzen und Studioaufnahmen (das Büro des Telegrafisten, der Saloon und das Postabteil des Zuges) und erste zaghafte Kameraschwenks (in den Einstellungen von den Banditen auf der Flucht). Ebenfalls sehr ungewöhnlich war die Verwendung einer Großaufnahme in dem ansonsten in Totalen inszenierten Film: Der Anführer der Banditen (George Barnes) zieht seinen Revolver und schießt – ohne erkennbaren dramaturgischen Grund – gewissermaßen direkt ins Publikum. Angeblich soll das zeitgenössische Publikum zurückgeschossen haben.
Monumentalfilm in Vollendung bietet Giovanni Pastrones 1914 entstandenes Werk „Cabiria“: Erstmals wurden für das zu Zeiten der Punischen Kriege spielende Melodram durchweg begehbare, plastische Kolossalbauten errichtet, die beim Ausbruch des Ätna dann auch gleich entsprechend eindrucksvoll zusammenstürzen dürfen. In seinem zum Teil an den Originalschauplätzen in Sizilien, Nordafrika und den Alpen gedrehten Film erzählt Pastrone die Geschichte eines Mädchens, das nach dem Vulkanausbruch von Piraten entführt wird, jedoch dank des hünenhaften Helden Maciste als Frau des edlen Römers Fulvio heimkehren kann.LARS PENNING