normalzeit : HELMUT HÖGE über den Antiamerikanismus
Beim Umschlag von Quantität in Qualität
Was in der ab 1961 abgeriegelten DDR die regelmäßig Westberlin besuchenden Rentner, das waren in Westdeutschland schon in den Fünfzigerjahren die jungen Stewards und Krankenschwestern der Passagierschiffe, die regelmäßig New York ansteuerten: Tonnenweise schleppten sie auf Bestellung Jeans, Bücher, Platten und hippen Schnickschnack an. Für den Rest an angesagten Konsumgütern aus Amiland sorgten die in der BRD und in Westberlin stationierten Soldaten, denen dafür spezielle Supermärkte (PX) zur Verfügung standen: mit Währungsrestriktionen und Ausweispflicht wie bei den Intershops im Osten. Bald waren ganz London und Amsterdam PX-Land, wobei jedoch die Produkte der amerikanischen „Counterculture“ immer attraktiver wurden. Amischlitten fuhren in Alt-Europa vor allem Zuhälter – eine Identifikation mit dem Aggressor, der seine „Kriegsbräute“ zu tausenden aus dem „Fräuleinwunder“ abzog, jedenfalls so lange das Währungsgefälle (4 Mark gleich ein Dollar) anhielt.
Auch die linken europäischen Filmemacher wurden immer wieder – von Hollywood – angezogen: die der jugoslawischen „schwarzen Welle“ ebenso wie die des italienischen Neorealismus. In „Zabriski Point“ hat Antonioni das thematisiert. Mit dem Nachkriegsamerikanismus wurde unterschiedslos the good, the bad and the ugly geschluckt. Oder wie im Falle der „Hollywoodschaukel“ einfach nachgebaut.
Aber schon gleich nach Beginn der Reaganomics ergab eine weltweit durchgeführte US-Studie, dass der „amerikanische Traum“ eigentlich nur noch in der Sowjetunion wirklich existiert. Nur dort wünschte sich z. B. ein Automobilarbeiter, einmal mit einem Fordarbeiter zusammen am Band zu stehen, und ein anderer träumte von einer Fahrt in einem Greyhoundbus durch den Mittleren Westen.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde das alles möglich – und für immer mehr sowjetische Armutsmigranten auch nötig. Während aus dem Westen reiche Steuerflüchtlinge und Showmaster sich in Kalifornien bzw. Florida niederließen. Die hiesigen Feuilletons aus Amerika befassten sich dann auch oft und gerne mit Swimmingpool-Problemen, die Wirtschaftsseiten dagegen mit Shareholdervalue-Sorgen. Die Künstler träumten von New York.
Ansonsten verbreitete sich das amerikanische Weltstadtgefühl bald in jedem Kaff – bis in die eurasische Steppe hinein: Hamburger, Cola, Soapoperas, Basecaps, Internetmails, Starbucks Coffee, Anwalts- und Unternehmensberater. Das inspirierte allerhand einheimische „Think-Tanks“: So besteht heute z. B. das „Vogelsberger Ski-Menü“ ebenfalls aus einem Hamburger mit Cola, andere Amerikanismen drangen bis in die letzte Oral History vor. Selbst Lenin wird nun noch einmal – diesmal mit einem „Good Bye“ – verabschiedet. Mit ihm war seinerzeit Hegel von Berlin nach Moskau „ausgewandert“ (E. Bloch). Zuletzt diskutierten aber sogar Habermas und Derrida ihre „Kontroversen“ auf Amerikanisch.
Itzo scheint jedoch die Dialektik darauf hinauszulaufen, dass das kritische Potenzial sich in Plattdeutsch artikuliert. Oder jedenfalls meinte kürzlich der Manager eines American Coffeshops in Mitte zu seiner Kaffeemaschinenbedienung: „Der wachsende Antiamerikanismus wirkt sich langsam geschäftsschädigend aus!“ „Ach wat“, entgegnete die Angesprochene, „dat is bloß wegen unsrer Nichtraucher-Totalzone!“ „Mein ich doch“, erwiderte ihr junger Chef, „das Rauchenwollen ist aber nur Ausdruck der um sich greifenden Intoleranz – und Amerikafeindschaft.“
Da war die Bedienung baff. Dennoch ließ sie es sich dann nicht nehmen, vor der Tür eine zu rauchen. Ich gesellte mich auf zwei Zigarettenlängen zu ihr. Dabei verriet sie mir, dass sie gar nicht aus Norddeutschland stamme: „Ich job aber abends noch in einer Seniorenbetreuung und da hab ich eine Rentnerin aus Brunsbüttel, von der lern ich gerade Plattdeutsch. An der Uni hab ich mal Russisch angefangen – aber das war nichts für mich.“