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Archiv-Artikel

normalzeit HELMUT HÖGE über türkische Folklore

Vortanzen als ehrenamtliche Jugendarbeit

Auf dem „Türkisch-Europäischen Kulturfest“ vor dem Brandenburger Tor, das sich dort wohl bald als EU-Love-Parade etablieren wird, trat neben zig berühmten türkischen Sängern, Eurovision-Song-Contest-Teilnehmern und DJs auch die „Türkische Folklore Gemeinschaft e. V.“ aus Kreuzberg auf – mit mehreren Jugendtanzgruppen. Begleitet wurde ihre Aufführung von einem Kemence-, d. h. Kniegeigen-Spieler.

Zwei Wochen zuvor hatte ich dieses Tanz-Ensemble bereits in seinen Vereinsräumen in der Wrangelstraße 22 besucht. Das geschah anlässlich des Muttertags, der auch ein türkischer Feiertag ist (ebenso wie der Internationale Frauentag). Da wurde dort unter den erwachsenen Vereinsmitgliedern die „Mutter des Jahres“ geehrt und es fand ein großes Fest statt. Aus diesem Anlass waren außerdem eine Vertreterin des Integrationsbeauftragten des Senats, die Frau des türkischen Generalkonsuls in Berlin, ferner ein Kamerateam von TRT und zwei Lokalreporter von Hürriyet erschienen. Mich hatte der Vereinsvorsitzende Muzaffer Topal eingeladen – als sein Nachbar und taz-Journalist.

Der 1966 in Akcaabat geborene Volkstanzlehrer kam 1981 nach Berlin, wo er sich zunächst zum Elektrogerätemechaniker ausbilden ließ und im Fernstudium Volkswirtschaft studierte. 15 Jahre arbeitete er dann als Qualitätskontrolleur bei einer Neuköllner Elektrofirma, wo er außerdem 12 Jahre lang als Betriebsratsvorsitzender tätig war. 2002 wurde seine Firma jedoch von einem westdeutschen Konzern aufgekauft und der Standort Neukölln überraschend dichtgemacht. Muzaffer Topal entließ man in die Arbeitslosigkeit.

Die „Türkische Folklore Gemeinschaft“ hatte er bereits 1986 gegründet. Der Verein hat heute 40 erwachsene Mitglieder, und seine Räume in der Wrangelstraße werden von etwa 60 Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 25 Jahren genutzt. Sie können dort neben dem Einstudieren von Volkstänzen in traditionellen Kostümen auch noch Schach und Tischtennis spielen sowie im Chor singen und sich mit Musikinstrumenten wie der Saz vertraut machen.

Die Folkloregruppen des Vereins treten inzwischen nicht nur in Berlin, sondern auch in vielen anderen Orten auf – seltsamerweise öfter in Ost- als in Westdeutschland: bisher in Leipzig, Dresden, Neuruppin, Storkow, Freiberg, Frankfurt (Oder), Bonn und Kaufbeuren.

Muzaffer Topal ist neben seiner Vereinstätigkeit seit 1994 auch noch Mitglied der CDU, für die er vier Jahre im Ausländerbeirat des Bezirks Kreuzberg saß. Nachdem sich der Ortsverband Görlitzer Bahnhof auflöste, arbeitet er nun in der CDU-Ortsgruppe Innsbrucker Platz mit. 1995 heiratete er, im vergangenen Jahr bekam seine Frau ihr erstes Kind. Seit er arbeitslos ist, hat er zwar mehr Zeit, sich der „ehrenamtlichen Jugendarbeit“ zu widmen, aber das ist keine Dauerlösung. Gelegentlich springt er noch als Aushilfskraft in der Bäckerei seines Cousins ein, er sucht jedoch einen neuen Job in seinem erlernten Beruf.

Sein Folklore-Verein wurde und wird von den CDU-Politikerinnen Renate Laurien und Barbara John aktiv unterstützt, dennoch sollte ihm Anfang des Jahres die staatliche Förderung gestrichen werden. Es gelang dem Integrationsbeauftragten des Senats jedoch, diesen Beschluss wieder rückgängig zu machen – trotzdem musste der Verein dann eine Kürzung von 1.000 Euro hinnehmen: „Aber was soll man machen? Überall wird das Geld knapper“, meinte Muzaffer Topal. Ich nickte betrübt, denn auch mir hat die taz gerade meinen Honorar-Dispo reduziert.