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Archiv-Artikel

normalzeit HELMUT HÖGE über den taz-Kolumnisten Bushdoctor-Truthseeker

„My Voice is Wishful Thinking“

Im Herbst 2005 fragte der Nigerianer Amechi Ochinanwata die taz-Kulturredaktion, ob er im Rahmen seines Pflicht-Integrationskurses Deutsch ein Praktikum bei ihnen absolvieren könne. Das wurde verneint, weil er noch nicht genug Deutsch konnte. Man bot ihm aber an, stattdessen als Autor für die Kolumne „Berliner Ökonomie“ tätig zu werden, gegebenenfalls auch auf Englisch, was ich dann übersetzen würde – das wollte man ihm auch honorieren und als Praktikum abzeichnen.

Neben Interviews mit dem Kfz-Mechaniker und Schauspieler Augustin Thulla aus Sierra Leone, einer Weddinger Gaststättenbesitzerin aus dem Kamerun, schrieb Amechi auch noch einige „Deklarationen“ mehr allgemeinen Inhalts, die für die taz nicht geeignet waren, wenn sie auch zumeist den deutschen Rassismus gegenüber Afrikanern thematisierten.

Amechi Ochinanwata entstammte einer adligen Familie. Sein Nachname bedeutet „König von Geburt“. Daher erwartete mindestens jeder zweite Nigerianer von ihm, dass er ihn – zumal in der Fremde – unterstütze. Das war ihm aber unmöglich, weil er selbst kaum Geld besaß. Deswegen unterschrieb er seine Text mit dem Pseudonym „Bushdoctor Truthseeker“.

Im Übrigen wollte Ochinanwata bald eine eigene Zeitung herausgeben, zuvor hatte er bereits zwei Bücher geschrieben, wovon das erste „A Bushman speaks – My Voice is Wishful Thinking“ hieß. Das zweite befand sich noch in seinem Computer befand. In beiden Büchern ging es um Gott und die Welt.

Amechi stammte aus einem Ort im nigerianischen Bundesstaat Enugu – dem früheren Biafra, das zwischen 1967 und 1971 mithilfe der an dem Öl dort interessierten Westmächte von Nigeria überfallen wurde – und seine Selbständigkeit verlor. Amechis Familie büßte dabei ihr ganzes Vermögen ein.

Er selbst besuchte zunächst eine Architekturschule, machte sich dann aber mit einer Kfz-Werkstatt selbständig. 1994 heiratete er eine Koblenzerin – Sabine – und zog nach Deutschland. Mit ihr hatte er zwei Kinder: den heute siebenjährigen Ugochukwu (was „Besonderes Geschenk“ heißt) und den jetzt zehnjährigen Tobechukwu („Lob des Herrn“). Amechi war sehr gläubig.

In Berlin arbeitete er zunächst als Bauhelfer, nach einem Arbeitsunfall wurde er jedoch entlassen. Fortan war er als Hausmann tätig, während Sabine das Geld verdiente. In den letzten Jahren hatte sie vor allem 1-Euro-Jobs in Bezirksämtern. Amechi bildete sich währenddessen zu Hause fort, das heißt, er schrieb sich in die Londoner Open University ein, um Free-Lance-Journalist zu werden. Diese Fernuniversität schloss er 2004 ab. Danach war er eine Zeit lang für einen Schweizer Konzern als Verkäufer von Nahrungsergänzungsmitteln und Kosmetika tätig.

2005 begann sein Pflicht-Integrationskurs, zu dem ein Praktikum gehörte. Er bewarb sich bei allen möglichen Zeitungen und Rundfunkstationen, bekam aber nur Absagen – bis die taz eine Lösung fand. Und diese Arbeit ließ sich auch gut an, aber dann wurde Amechi krank. Am 19. Mai starb er – vierzigjährig – in der Charité an Krebs.

Seine letzte Bitte an seine Frau war: „Begrab mich nicht in weißer Erde!“ Sabine erfüllte ihm diesen Wunsch auch – und ließ seine Leiche für 6.000 Euro in einem mit Zink ummantelten Sarg in seinen Heimatort nach Enugu überführen. Aber in seinen Computer reinzukucken („das war neben mir seine zweite intime Beziehung“), um die hinterlassenen Texte zu lesen, das traute sie sich bisher noch nicht.

Sabine organisierte eine Pro-forma-Beerdigung in Berlin, wo unter anderem auch Ochinanwatas hier lebende nigerianische Freunde Abschied von ihm nahmen. Ich ging nicht hin, weil ich in der letzten Zeit auf so vielen Beerdigungen war, dass ich das Gefühl bekam, bald gar nicht mehr vom Friedhof runterzukommen. Außerdem war ich der Meinung, nicht laufend immer nur Nachrufe schreiben zu können. Ein schreckliches Genre im Übrigen, das allerdings vor zwei Wochen zusammen mit dem vor allem im agnostischen Osten aufblühenden Beruf des „Trauerredners“ von der Künstlersozialkasse in Wilhelmshaven offiziell als „künstlerische Tätigkeit“ anerkannt wurde.