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normalzeitHELMUT HÖGE über Geräuschwirkung

Weiß, braun und ein Dreamteam

In einem Gesundheitsportal erfuhr ich neulich, dass Leute, die ständig irgendein „white noise“ im Ohr haben, dieses mit „brown noise“ –d. h. mit ihrer Lieblingsmusik aus einem Walkman – dämpfen, bekämpfen sollen. Während das „white noise“ – wenn es nicht im Kopf selbst produziert wird, aus der sogenannten Weißen Ware kommt – aus Waschmaschine, Geschirrspülmaschine etc., wird „brown noise“ meist von der Braunware hergestellt oder verstärkt, d. h. von Radio, Fernseher, CD-Player usw. Beim weißen Geräusch besteht die Autorenschaft aus den Noise-Designern von Siemens, Miele, Bauknecht, bei den braunen Geräuschen heißen sie Michael Jackson, Tödliche Doris oder Eminem. Letztere transportieren damit u. U. gewisse Sinnladungen – „Botschaften“. Am reinsten kommen diese bei der Textproduktion zum Ausdruck.

Auch hier unterscheidet man zwischen white und brown noise, denn jeder Text nimmt Teil an der Meinungsbildung. Zum white noise zählt man Reklame, Postwurfsendungen, linke Klassen- und rechte Rassenhetze usw., zum brown noise die konzertierten Groß-„Themen“ - wie das WTC-Attentat („Hey, Mister Taliban . . .“), Nobelpreisträger, Euro, Weihnachtsgeschichten usw. Aber während white noises in die Öffentlichkeit als „geheime Verführer“ sickern – und sich gegenseitig blockieren, wirkt brown noise – weil von nahezu gleichgeschalteten Medien ausgehend – wie ein einziger Agitationshammer. Für die Autoren gilt daher: Sie müssen versuchen, aus ihrem white ein brown noise zu machen – um den Durchbruch zu schaffen.

Keinem gelang das in letzter Zeit besser als dem DJ-Dichter Wladimir Kaminer – anfänglich mit Hilfe der taz und dem Kaffee Burger. Eine Menge intervenierender Variablen kamen dazu: die plötzlich anschwellende Russen-Scene Berlins; das schlechte Gewissen der Deutschen gegenüber Juden; ein wie blöd gesteigertes Interesse an allem, was in der neuen Hauptstadt abgeht; eine hierzulande noch nie gekannte Beschleunigung der Verwertung – in diesem Fall gekoppelt mit neuen Literaturagenten, Berliner Seiten, Sonntagsausgaben, neuen Medien etc. Und nicht zu vergessen: der ungeheure Fleiß und das Talent des Autors selber, der innerhalb von 18 Monaten gleich vier oder fünf Bücher veröffentlichte, einmal in der Woche eine Russen-Disko veranstaltet, und ferner eine Radio-Sendung sowie eine Kolumne für die Zeitung Russkie Berlin produziert. Nebenbei macht er auch noch gelegentlich Werbung und gibt mindestens zwei Interviews pro Tag, wobei man ihn stets als erstes nach der „Russen-Mafia“ fragt. Kurzum: Es kam derart viel zusammen, dass immer mehr Kulturbetriebsbeobachter vermuten, hinter dem Namen Wladimir Kaminer stecke eine ganze Textproduktions-Maschinerie. Während z.B. die Comic-Scene einen Litauer als Urheber annimmt, vermutete Renee Zucker im Info-Radio kürzlich, dass da ein Deutscher permanent dran dreht, und in der russischen Scene ist man der Meinung, dass ein ganzes Russen-Kollektiv dem Autor täglich zuarbeitet, eine Minderheit spricht sogar von einer jüdischen Verschwörung. Kaminer wäre demnach nur so etwas wie ihr Sprecher – the brown voice.

Tatsache ist, dass er gegen die Professionalisierung antritt und ihm stattdessen so etwas wie ein Produktionskollektiv vorschwebt (die alte Tretjakowsche Utopie). Das jetzige Kaminer-Kollektiv ist jedoch höchstens ein Dream-Team, weil es noch auf Arbeitsteilung beruht, wenn auch nicht auf strikter: Seine zweite Frau als erste kritische Instanz, Mutter und Schwiegermutter als Babysitter, Petra als Agentin, Jurij als zweiter DJ, ich als erster Redakteur, sein Küchen-Freundeskreis als Rohgeschichtenlieferanten und nicht zu vergessen, dieser oder jener Publizistik-Kollege, dem der ganze „Kaminer-Rummel“ (Reich-Ranicki) bereits zu viel ist – und der deswegen für eine gewisse Polarisierung mit Wort und Schrift sorgt, das heißt für das Hintergrundrauschen.

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