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Archiv-Artikel

neues aus neuseeland: lamm nur noch mit rosmarin von ANKE RICHTER

Vier mal so viele Schafe wie Einwohner – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Und zwar buchstäblich. Auch wenn mich Streichelzoobesucher dafür hassen, behaupte ich aus tiefster Überzeugung: Nur ein geschmortes Schaf ist ein gutes Schaf. Die letzten Wochen haben meine Einstellung zur heimischen Tierwelt entscheidend verändert.

August war’s, Frühling ward’s, und die ersten Lämmchen stolperten herzallerliebst über die Weiden. Da war die Freude groß, als Freunde fragten: „Wollt ihr ein Lamm mit der Flasche großziehen?“ Sie hatten auf ihrer Farm einen mutterlosen Frischling aufgelesen. Klar wollten wir. Was könnte den Einzug in ein Holzhaus mit Öko-Garten besser abrunden als ein niedliches Lämmchen? So viel Bullerbü muss sein, wenn man den Industriestandort Kiel für eine Mini-Agrarnation verlässt.

Klein Millie war ein echter Sonnenschein, wenn auch mit vielen Regenschauern – nämlich komplett inkontinent. Was war das putzig in den ersten Tagen, als das blökende Schäfchen durchs Wohnzimmer trippelte, seine Babyflasche leer trank, die Hinterbeine spreizte und auf die Holzdielen strullerte. Nachts schlief es auf einer Decke, tags wurde es verwöhnt wie ein Schoßhund. Die beiden Meerschweinchen, Weihnachtsgeschenke vom vorletzten Jahr und spannend wie Kohlrabi, rückten damit unweigerlich ins zweite Glied.

Die Fertigmilch hatte Zaubertrankwirkung: Das Lamm wuchs rasant, die Pisse stank gemein, der Dielenboden litt, und schließlich hieß es: Ein Schaf lebt draußen. Das hat uns Millie bis heute nicht verziehen. Das verstoßene Wesen versucht es seitdem mit Hisbollah-Taktik: Terror aus allen Rohren. Akustische Folter war der erste Angriff und der Beweis, dass Schafe doch nicht so dumm sind, wie sie aussehen. Morgens um fünf begann das Blöken – zäh, penetrant, beleidigt. Trat einer von uns verschlafen vor die Tür, schnappte Millie gierig nach dem Sauger. Dann war zumindest für ein paar Stunden Ruhe. „Ihr müsst sie abstillen“, rieten die Nachbarn, die den Lärm geduldig ertrugen. Wir rationierten die Milch. Als Millie zu knabbern begann, entdeckte sie die Salatpflanzen. Bestandsaufnahme der letzten Tage: Gestern alle Tulpen ab, heute die Zitronenblüten, morgen der Brokkoli – wird wohl ein ertragsarmes Jahr. Schlimmer als die Zerstörung wiegt Millies Verdauung. Vor der Haustür, am liebsten auf der Fußmatte, liegen ständig frisch gelegte Haufen, die an feuchte Rosinen erinnern. Steht die Tür einen Moment zu lange auf, drängt das Vieh sich dreist in den Flur, wetzt ins Wohnzimmer – frühe Kindheitserinnerungen! – und pladdert innerhalb von Sekunden aufs Parkett. Manchmal auch unter meinen Schreibtisch.

Wir zählen die Tage. Am Wochenende wird Millie offiziell für alt genug erklärt, um auf „ihre Farm“ zurückzukehren – ein kinderfreundlicher Euphemismus für „ab in die Schlachterei“. Ganze 80 Dollar bekommt der Bauer später pro Schaf. So viel hat uns Millie allein an Trockenmilch gekostet. „Lamas!“, raten uns jetzt die Nachbarn. „Kann man prima im Garten halten. Die spucken auch fast nie.“ Keine Chance: Was sich nicht mit Rosmarin oder Pfefferminzsoße verträgt, kommt mir nicht ins Haus.