neues aus neuseeland: der fluch des braunen klopapiers von ANKE RICHTER :
Es gibt keinen lieblicheren Platz, um die Stadt hinter sich zu lassen, als die Banks Peninsula: Grüne Hügel rollen in verschwiegenen Buchten sanft gen Meer, Delfine tummeln sich in der Brandung. Öffnet man die Holztür eines Farmhauses, duftet es nach Schafwolle, Lavendel und Selbstgebackenem. So schön ist es dort, dass man am liebsten sofort nach Neuseeland auswandern würde, wenn man’s nicht schon längst getan hätte.
Jeden Sommer, wenn wir auf der Halbinsel zelten, klopfe ich an die Holztüren und frage, ob nicht irgendwo eine kleine Hütte oder Parzelle Land zu kaufen sei. Ich träume von einer Wochenenddatscha im Paradies. „Zu verkaufen gibt’s hier nichts“, grummelt die Frau im Tante-Emma-Laden von Okains Bay. Sie reicht mir die Zeitung, die erst mittags gebracht wird. Der Postbote hat immer eine Gruppe von Touristen dabei. Sie fahren seine tägliche Route mit und machen überall Fotos. „Aber wenn ihr schulpflichtige Kinder habt, könnt ihr den Shop hier pachten. Wir suchen eine neue Familie, damit unsere Grundschule nicht geschlossen wird.“ Die letzten Pächter mussten das Paradies überstürzt verlassen. Im Hinterzimmer des Tante-Emma- Ladens unterhielten sie bis zu ihrer Festnahme ein P-Labor. Mit Methamphetamin war dann doch mehr Umsatz zu machen als mit Eis am Stiel für den Campingplatz.
Einen winzigen Moment lang zögere ich. Wie das wohl wäre – ganz neu anzufangen, Kinder auf eine Zwergschule zu schicken, das ursprüngliche Leben von Banks Peninsula zu leben? Dann denke ich an Stefanie Tollberg, meine ständig abgebrannte Masseurin. Die wuchs genauso auf, nur eine Bucht weiter. Ihre deutschen Eltern wanderten in den Siebzigern ein und waren die ersten und einzigen radikalen Ökos weit und breit. Es gab weder Strom noch Fernseher daheim, dafür Blockflöte satt. Die Mutter spann Wolle und buk dunkles Brot, was die vier Tollberg-Kinder unter den Bauernkids unweigerlich zu Außenseitern machte.
Der Vater glaubte, dass man von der Chlorbleiche im Klopapier Darmkrebs bekomme. Deshalb wurden große Rollen braunes pergamentähnliches Papier gekauft, auf einer Seite rau, auf der anderen beschichtet. Stefanie musste daraus Quadrate schneiden. Damit wurden die Schulbrote eingewickelt und die Hintern abgewischt, was gar nicht so einfach war, weil die Griffigkeit fehlte und Stefanies Finger regelmäßig durchs Papier stieß. Sie demonstrierte es mir während einer Rückenmassage, was wehtat. Am schlimmsten war es, als eine Spielkameradin fragte, wo denn das Toilettenpapier im Bad sei. Stefanie musste auf die Kiste mit den braunen Quadraten zeigen. Oh, welche Schande!
Vater Tollberg haute eines Tages einfach ab. Zog sich den Rucksack an und stapfte das Tal hoch, ohne Kinder, Ziege und Pferd noch eines Blickes zu würdigen. Als er endgültig verschwunden war, kaufte die Mutter als Erstes weißes, weiches Klopapier. Sie schlägt sich heute als Aquarellmalerin durch. Der Vater nennt sich „Omra“. Stefanies Schwester ist auf Heroin- Entzug.
„Ach, wir kommen hier eigentlich nur in den Ferien hin“, antworte ich der Frau im Tante-Emma-Laden eilig, „leider.“