nebensachen aus warschau : Durch gehäkelte Tanga-Slips zu dörflicher Sünde, Geld und Ruhm
„Ein Spitzen-Tanga? Eine Schande ist das!“ Helena Kamieniarz kann nicht fassen, was sie sieht. „Unterwäsche!“, faucht sie voll Verachtung und hebt das rote Etwas mit spitzen Fingern in die Höhe. Die zierliche Dame mit dem dunkel gefärbten Haar deutet auf Diplome, Preise und goldene Kreuze in einer Vitrine im Wohnzimmer. „Seit fünf Generationen häkelt meine Familie. Unsere Spitzendecken liegen in der Kapelle des Sejm, beim Papst und auf Altären. Man kann unsere „koronki“ (Spitzen) doch nicht als Höschen verscherbeln!“
Im polnischen Bergdorf Koniaków nahe der Grenze zu Tschechien ist durch den gehäkelten Sündenfall ein geharnischter Dorfkrach ausgebrochen. Die einen halten die Volkskunst in Ehren, die anderen haben Spaß am Spiel mit der Erotik. Noch dazu, wenn sich die neue Spitzenmode gut verkauft. Und das tut sie. Im Dorf häkeln 500 bis 600 Frauen, die meisten bislang nur Tischdecken und Servietten, doch immer mehr wechseln ins Tanga-Fach. Denn die duftigen Spitzen-Dessous zieren die Titelseiten der Lifestyle-Magazine Polens. Journalisten und Modedesigner aus London, Mailand, Paris und New York reisen nach Koniaków, die neuesten Modelle zu besichtigen.
Die Nachfrage nach den rassigen Höschen hat die Preise steigen lassen. „Seit Jahren hat niemand mehr vom Häkeln leben können“, erzählt Małgorzata Kawulok. „Nun häkeln wir Strings und Tangas und verdienen im Monat so viel wie sonst in einem Jahr. Wo ist die Schande, wenn die Leute das kaufen wollen?“ Für ein kunstvoll gehäkeltes Spitzendessous braucht sie einen oder anderthalb Tage. Der Preis: 30 bis 40 Zloty (7,50 bis 10 Euro). Reich wird sie davon auch nicht werden. Doch die Frauen im Dorf verdienen nun wieder mehr als ihre Männer. So wie in den Siebzigerjahren, als die Spitzentischdecken aus Koniaków in alle Welt exportiert wurden.
Angefangen hat der Tanga-Boom mit einem Hochzeitsgeschenk. Pani Halina, die ihren richtigen Namen nicht verraten will, hat ihn auf Bitten eines Bekannten gehäkelt. Einen zweiten für sich selbst, und einen dritten für die Volkskunstgalerie von Tadeusz Rucki. Dort lag das gute Stück fast zwei Jahre lang unbeachtet in einer Ecke. Erst als Rucki mit der Ausstellung „200 Jahre Spitzen aus Koniaków“ das Geschäft anzukurbeln versuchte, ging die Nachricht vom Häkel-Sündenfall in alle Welt hinaus.
Ein Journalist hatte gelangweilt die Spitzendecken und Servietten angesehen und schließlich den Tanga entdeckt: „Was ist das?“ Rucki erinnert sich bis heute an den Wortwechsel. „Ein Tanga aus Koniakówer Spitzen. Hier habe ich auch noch einen BH. Ein echtes Spitzendessous“.
Der Priester am Ort, höchstselbst in ein langes Spitzenhemd über der schwarzen Soutane gekleidet, hatte zunächst gewettert, dass so ein Verrat an der Tradition nichts Gutes nach sich ziehen würde. Nun aber, da das Dorf wieder in aller Munde ist, es Arbeit und Aufträge gibt, findet auch er Gefallen an den neuesten Spitzen-Kreationen. Obwohl: „So auf der bloßen Haut? Ich weiß nicht, Ich kenne mich da nicht so aus. Aber das Garn ist doch hart. Ob das nicht scheuert?“
GABRIELE LESSER