nebensachen aus stockholm : Kein Mittsommerfest ohne Erdbeeren, nur blau-gelb müssen sie sein
Drei Sachen braucht der Schwede zum Mittsommerfest: eine geschmückte Mittsommerstange, reichlich Alkohol und – Erdbeeren. Am Mittsommerwochenende verspeisen die 9 Millionen SchwedInnen 3,5 Millionen Kilo Erdbeeren. Das ist angeblich Weltrekord. Doch es sollen nicht irgendwelche Erdbeeren sein. Erdbeeren haben schwedisch zu sein. Kein Problem? Von wegen!
Zwar werden in Schweden reichlich Erdbeeren angebaut. Doch der Sommer kann trotz galoppierenden Klimawandels manchmal lange auf sich warten lassen. Dann werden die Erdbeeren selbst unter einer Plastikfolie nicht rechtzeitig reif. Jedenfalls nicht in den rauen Mengen, die zur Sommersonnenwende nachgefragt werden.
Letztes Jahr war so ein Sommer. Da schaffte es der „Erdbeernotstand“ auf die Titelseiten der Boulevardzeitungen. In diesem Jahr hatten die Anbauer ein anderes Problem: Hochsommer war schon im Mai und die „Jordgubbarna“ wurden viel zu früh reif. Als ich eine Woche nach Pfingsten bei Nachbar Gunnar vorbeiradelte, saß der schon vor einem Halbkilokarton Erdbeeren, die er gerade auf dem Markt gekauft hatte. „Svenska?“, fragte ich zweifelnd, obwohl es auf dem Karton stand. „Klar“, sagte er: „Und die schmecken wirklich schwedisch, probier mal!“
Können Erdbeeren schwedisch schmecken? Im Prinzip ja. Kenner schwören, dass Erdbeeren umso besser schmecken, je weiter nördlich sie angebaut werden. Lange sonnige Tage und kurze kühle Nächte sollen dafür verantwortlich sein. Die aus Spanien oder Deutschland, mit kürzeren Tagen und wärmeren Nächten – kein Vergleich. Als vor einigen Jahren Lidl sich daranmachte, den schwedischen Markt zu erobern, glaubte man, die SchwedInnen auch mit deutschen Erdbeeren locken zu können. Das versuchte man nur einen Sommer.
Natürlich kann man auch deutsche Erdbeeren in Schweden loswerden. Aber nur, wenn man sie als schwedische verkauft. Im letzten Notstandssommer flog eine Erdbeermafia auf, die jede Nacht zehntausende Liter deutscher Erdbeeren, frisch mit der Deutschlandfähre in Göteborg angekommen, aus blauen Plastikschalen in weiße Pappschachteln mit der Aufschrift „Svenska Jordgubbar“ umfüllte.
In diesem Jahr wird deshalb scharf kontrolliert. Jeder Supermarkt und Marktstand muss mit einem Besuch der Lebensmittelbehörde rechnen. Die will genau wissen, auf welchem Feld die angeblich schwedischen Erdbeeren gewachsen sind – und prüft das nach. Im Zweifelsfall werden die Beeren sogar zu einer teueren Isotopenanalyse geschickt. Nach Deutschland. In Schweden gibt es die entsprechende Technik nicht. Aber für die Kontrolle, ob die roten Früchtchen wirklich blau-gelben Ursprungs sind, ist offenbar kein Aufwand zu groß.
Ob sich der noch lange lohnt? Die schwedischen Erdbeeren werden jedes Jahr „deutscher“. Oder amerikanischer. In drei von fünf „Svenska Jordgubbar“-Kartons liegt schon die vergleichsweise säuerliche US-Sorte Honeoye. Haltbarkeit und Wirtschaftlichkeit gehen den Anbauern vor Geschmack. Erdbeergourmets befürchten, die so herrlich süß-aromatischen, aber auch frost- und fäulnisanfälligeren typisch „blau-gelben“ Sorten wie Bounty und Glima werde es wohl in ein paar Jahren kaum noch geben. REINHARD WOLFF