nebensachen aus stockholm : Nachhilfe in Sachen Gesetzestreue für die Oberschicht
Was in Berlin-Neukölln ist, ist in Stockholm Rinkeby, in Malmö Rosengård oder in Göteborg Bergsjön. Problemvororte, die vorwiegend in den Medien auftauchen, wenn es Negatives zu berichten gibt. Stets geht es dabei um Themen wie Segregation, hohe Anteile an Sozialhilfeempfängern, Schulprobleme, mangelhafte Integration von Migranten und wachsende Kriminalität. Artikel über die Vororte werden illustriert mit dem Bild einer verschleierten Frau vor kahlem Betonhochhaushintergrund. Bei frei erfundenen oder maßlos übertriebenen Nachrichten liegen die Vororte ganz vorn.
Vor einem Monat berichteten selbst seriöse Medien von Krawallen im Göteborger „Problem“-Vorort Hjällbo: Straßenschlachten mit der Polizei, geplünderte Geschäfte, eingeworfene Scheiben von Schulen und Banken. Ein beispielloser Vandalismus im Gefolge eines mehrstündigen Stromausfalls.
Es gab dabei nur ein kleines Problem: Fast alles stimmte nicht. Kein Geschäft wurde geplündert, die Scheibe keiner Schule war zu Bruch gegangen. Es hatten lediglich einige Dutzend Jugendliche die stromlose Dunkelheit zu einem lautstarken Umzug durch die Straßen genutzt. Dieses hatte bei einigen Anwohnern offenbar Angst und Schrecken verbreitet und die übereifrige und von der Dunkelheit ebenfalls gehandikapte Polizei zu maßlosen Schadensvermutungen veranlasst. Die Medien entschuldigten sich am nächsten Tag: Man habe keinen Grund gehabt, an den Informationen zu zweifeln, die man ungeprüft weitergereicht hatte.
Wären auch unbestätigte Nachrichten aus einem Villenvorort so selbstverständlich und ohne Quellenkontrolle in den Schlagzeilen gelandet? Per Markku Ristilammi, der über das Vorortbild in den Medien geforscht hat, sagt dazu: „Die Vororte sind so stark mit einem Negativbild verbunden, dass es Journalisten offenbar schwer fällt, davon nicht beeinflusst zu werden, wenn sie ihre Artikel schreiben.“
Und natürlich verkauften sich diese Vorortbilder besonders gut, weil sie die Vorurteile des Publikums bestätigten. Dabei sind keineswegs die „Problem“-Vororte in der Kriminalstatistik Spitzenreiter. Die meisten Überfälle geschehen in den Stadtzentren.
Da in Schweden mit Antritt einer neuen Regierung zur Abwechslung auch einmal von anderer Kriminalität die Rede war – von Steuerhinterziehung, Betrug und kriminellen Ministern, die in den Villenvororten wohnen –, drehte die sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Veronica Palm den Spieß um. In einer parlamentarischen Anfrage will sie wissen, was die Regierung gegen die Segregation der Oberschicht tun wolle, die offenbar zu abweichenden Normen und einer kriminalitätsfördernden Subkultur geführt habe. In den Stockholmer Villenvierteln Danderyd und Östermalm sei offenbar systematische Kriminalität wie Steuerhinterziehung, Schwarzsehen und die Anstellung illegaler Arbeitskraft weit verbreitet.
„Ein deutlicher Ausdruck für die mangelhafte Integration der Oberschicht in diese Gesellschaft“, schreibt die Abgeordnete: „Dies ist offenbar das Resultat eines Lebens fern von Menschen anderer Kultur.“ Mehrere Milliarden kosteten die Gesellschaft die Folgen dieser Segregation Jahr für Jahr, beklagt Palm und bedient sich beim Maßnahmekatalog eines Vorortprogramms: Es gehe vorrangig darum, diese Menschen zu informieren, „wie Schweden funktioniert und welche Gesetze gelten“.
REINHARD WOLFF