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nebensachen aus são pauloIn dringenden Fällen hilft Santo Expedito

Heiliger als Supermann

In jedem Stadtteil São Paulos hängen sie unübersehbar, die Spruchbänder mit dem stereotypen Satz „Ich danke dem heiligen Expedito für die erlangte Gnade“, gefolgt von den Initialen des Spenders. Der Adressat ist ein obskurer römischer Legionär aus dem dritten Jahrhundert. Im Augenblick seiner Bekehrung, so die Legende, tauchte ein Rabe auf, der „cras“ krächzte – was auf Lateinisch „morgen“ bedeutet. Der unerschrockene Soldat zermalmte den dreisten Vogel mit dem Fuß, packte ein Kruzifix und rief aus: „hodie“ (heute)!

Schutzpatron der brasilianischen Militärpolizisten ist Expedito schon länger, doch seine steile Karriere begann erst im São Paulo der Achtzigerjahre. Wer in Nöten ist, kann sich zwar auch an São Judas Tadeu, den Patron der „unmöglichen Anliegen“, Santa Rita de Cássia, die Patronin der Verzweifelten, oder die für die SchuldnerInnen zuständige heilige Hedwig wenden. Unbestritten auf Platz eins jedoch rangiert quer durch die Bevölkerungsschichten Santo Expedito, der Heilige für die „gerechten und dringenden Anliegen“.

Meine Nachbarin Emmy de Kouh zum Beispiel, eine 72-jährige Rentnerin, die sich als „nicht besonders religiös“ bezeichnet, hat nur gute Erfahrungen mit Santo Expedito gemacht. Nachdem sie ihn angerufen hatte, bekam ihre Tochter wieder eine Anstellung. Wenig später wurde ihr eine flugs eine kostenlose Zahnbehandlung in einem staatlichen Krankenhaus gewährt, auf die sie unter normalen Umständen hätte monatelang warten müssen. Nach diesen freudigen Ereignissen schmückte Emmy ihre Hauswand jeweils mit einem Spruchband zu Ehren des Paulistaner Lieblingsheiligen.

Auf Lateinisch heißt „expeditus“ so viel wie schlagfertig oder schnell. Expedito scheint in der Tat wie geschaffen für die bedrängten Verhältnisse im Großstadtchaos. Keine langwierige Pilgerreise ist erforderlich, nicht einmal eine Kirche muss man aufsuchen, was in der 18-Millionen-Metropole mit ihren unendlichen Staus lange dauern kann. Und sobald das Gebet erhört ist, kann das Gelübde flott erfüllt werden: Es reichen ein Vaterunser, ein Ave-Maria, eine Bekreuzigung und die weitere Verbereitung seines Namens, eben durch ein Spruchband oder das Auslegen von tausend Heiligenbildchen, auf deren Rückseite ein Modellgebet prangt: „Mein heiliger Expedito … hilf mir in dieser Stunde des Leids und der Verzweiflung … gib mir Kraft, Mut und Gelassenheit … erfülle meine Bitte dringend. Gib mir den Frieden und die Ruhe zurück, mein heiliger Expedito! Ich werde dir mein Lebtag dankbar sein und deinen Namen zu all jenen tragen, die glauben. Vielen Dank.“ Darunter folgt der Hinweis „mit kirchlicher Billigung“ und die Bestelladresse mit Preisangabe (1.000 Stück 20 Reais, das sind etwa 9 Euro).

Auch gelehrte Köpfe haben sich mit dem Phänomen beschäftigt. Für César Moreno, der es in einer Arbeit für die Katholische Universität PUC unter die Lupe genommen hat, ist die Begeisterung für Expedito eher eine Bewegung „von unten“, die wohl oder übel von der Amtskirche geduldet wird. Der Religionssoziologe Reginaldo Prandi sieht gar „weiße Magie“ am Werk: „Es ist kein religiöser Akt im eigentlichen Sinne, denn sein Ziel ist nicht eine transzendente Vision Gottes oder eine Annäherung an das Heilige.“ Die definitive Erklärung jedoch hat sein Kollege João Décio Passos parat: „Für einen so chaotischen Lebensraum wie den unseren taugt in der Tat nur ein Heiliger, der ein halber Supermann ist.“

GERHARD DILGER

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